Das Bildnis der Novizin
des Zorns, der Verzweiflung.
»Du hast mir nichts von diesem Auftrag erzählt«, schluchzte sie den bewusstlosen Mann an. Sie hob seinen Kopf behutsam auf ihren Schoß. »Du hast mich angelogen, Filippo. Du hast gelogen.«
Lucrezia blieb auf dem Boden sitzen und wartete darauf, dass er aufwachte. Sie war müde. So müde.
Als sie erwachte, war es dunkel. Ein heftiger Schmerz fuhr durch ihren Leib.
»Filippo, da stimmt was nicht«, keuchte sie. Sie packte ihn am Arm, schüttelte ihn. »Das Baby, Filippo.« Sie rief seinen Namen, lauter, dann gab sie ihm einen Klaps auf die Wange. Endlich rührte er sich, langsam und unter großen Schwierigkeiten. Er griff nach ihrer Hand. Sie war eiskalt.
»Ich blute.«
Schläfrigkeit und Schmerzen abschüttelnd stemmte er sich ächzend auf die Knie. Lucrezia war wachsbleich. Sie drehte sich auf die Seite. Auf dem Boden war ein kleiner, dunkler Fleck.
»Das Kind, Filippo. Ich glaube, das Kind kommt.«
Der Maler schleppte sich durch das Durcheinander zum Kamin. Mühsam zog er den losen Stein aus der Ummauerung. Gott sei Dank, die Mistkerle hatten sein Gold nicht gefunden.
»Filippo!«, rief Lucrezia voller Panik. »Mach schnell.«
Der Maler stemmte sich langsam auf die Beine und taumelte zu ihr zurück.
»Ich hole Hilfe«, keuchte er. »Ich schicke jemanden zu Signora de Valenti. Wegen der Hebamme.«
»Dafür ist keine Zeit mehr, Filippo. Bitte, bring mich zum Kloster. Schwester Pureza wird mir helfen.«
Sie wurde zunehmend bleicher, und der Geruch des Bluts ängstigte ihn. Er hatte Mühe einen klaren Gedanken zu fassen. Er rannte auf die Straße, zum Haus des Zaunmachers, der einen Wagen und einen Esel besaß. Den Wagen konnte er im Mondschein vor der Tür stehen sehen, und hinter dem Haus schrie der Esel. Der Klang seiner Schritte hatte den Zaunmacher aufgeweckt. Sein Gesicht tauchte am Fenster auf.
»Um der Liebe Gottes willen, überlasst mir heute Nacht Euren Wagen und Euren Esel!«
Der Mann warf nur einen Blick auf das zerschlagene Gesicht des Malers und nickte erschrocken.
Mit pochendem Schädel und heftig schmerzenden Rippen spannte Fra Filippo den Esel an. Dann führte er das Tier zu seiner Hütte zurück.
Er wickelte Lucrezia in eine Decke, trug sie hinaus und legte sie behutsam auf der Ladefläche des Wagens ab. Dann ging er noch einmal hinein, holte ein paar Decken und Kissen und machte es ihr so weich wie möglich.
Lucrezia lag, in Decken gehüllt, hinten auf dem Wagen, blickte zu den Sternen auf und betete. Es war Ende Juli. Sie hatte es geschafft: Sie hatte das Kind so lange in ihrem Bauch behalten, dass kein Zweifel mehr daran bestand, dass Filippo der Vater war.
24. Kapitel
Ein Tag vor Maria Magdalena, im Jahre des Herrn 1457
D ie Äbtissin umklammerte die drei Goldflorin und starrte zu dem Maler auf. Der Mond schien gerade hell genug, dass sie sein zerschlagenes Gesicht erkennen konnte.
»Vergesst nicht, ich warte immer noch auf mein Altarbild, Bruder«, sagte sie. »Ihr habt es mir vor fast einem Jahr versprochen.«
»Ja, ja, das Bild«, antwortete er erschöpft. »Nach der Geburt. Wenn das Kind da ist.«
Fra Filippo blickte über den Klosterhof und konnte gerade noch sehen, wie Lucrezia, geführt von Spinetta und Schwester Bernadetta, im Kreuzgang verschwand. Eine gebeugte Gestalt mit einer Kerze in der Hand eilte auf die drei zu.
»Hier ist sie sicher. Und jetzt geht«, befahl die Äbtissin. »Der Generalabt hat Euch des Geländes verwiesen.«
Schwester Pureza tastete mit einer Hand zwischen Lucrezias Schenkel, ihre andere ruhte auf dem Bauch der Hochschwangeren. Lucrezia zuckte zusammen, als sie die vordringenden Finger der alten Nonne spürte.
»Du bist noch nicht so weit«, sagte sie und wischte die Hände an ihrer Schürze ab. »Ruh dich aus. Du wirst deine Kraft noch brauchen.«
Lucrezia berührte die Hand der Alten. Der vertraute Geruch nach Lavendel, ihre unerschütterliche Ruhe erfüllten Lucrezia mit tiefer Dankbarkeit. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Danke, Schwester Pureza«, stammelte sie. »Vielen Dank.«
Zu ihrer Überraschung wandte sich Schwester Pureza abrupt von ihr ab und ging zu einer Wandnische, in der sie ein Tablett mit Kräutertinkturen kühl gestellt hatte.
»Es ist zu früh«, knurrte sie.
»Zu früh?« Lucrezias Stimme zitterte. »Zu früh für das Kind?«
»Zu früh, um mir zu danken.«
Lucrezias Herz begann zu hämmern. »Aber es geht ihm gut, oder? Er ist doch in Ordnung?«
Die alte Nonne
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