Das Bildnis der Novizin
gar nicht erfreut.
Mit einer ganz neuen Feindseligkeit in der Stimme sagte er: »Meines Wissens sollten die Novizinnen den Orden nur in angemessener Begleitung und nur im Dienste des Herrn verlassen.«
Lucrezia spähte unter ihrem Schleier hervor, musterte die dünnen Lippen des Propsts, seine ineinander verkrallten Hände. Diese Hände waren schmal und glatt, fast mädchenhaft, ganz anders als die großen, abgearbeiteten Pranken des Malers. Sie warf einen raschen Blick auf ihre Schwester und sah, dass diese mit schamroten Wangen zu Boden starrte.
»Ihr solltet hier nicht länger herumstehen«, fauchte der Propst und schaute dabei weder die eine, noch die andere Schwester an, sondern den Raum dazwischen. »Novizinnen gehören hinter Klostermauern. Die Welt ist bekanntermaßen ein gefährlicher Ort. Es hat gute Gründe, warum Klöster von Mauern umgeben sind.«
»Ihr habt recht, Exzellenz.« Der Maler nickte. Wieder einmal hatte er unbedacht gehandelt. Die Warnungen seines Freunds, Fra Piero, im Hinterkopf, verdoppelte er seine Bemühungen, den übellaunigen Mann zu beschwichtigen. »Wir müssen tatsächlich gehen, da die Schwestern in Kürze abgeholt und ins Kloster zurückeskortiert werden. Ihr entschuldigt uns.«
Inghirami trat beiseite, um Fra Filippo und die Buti-Schwestern vorbeizulassen. Lucrezia fühlte seinen Blick selbst noch am Hauptportal, als sie die Hand ins Weihwasserbecken tauchte, sich bekreuzigte und die Kathedrale verließ.
Als sie zur Werkstatt zurückkehrten, wurden sie bereits von ihrem Begleiter erwartet. Er fingerte nervös an seiner Tunika herum. Spinetta trat sofort an seine Seite, denn nach der soeben erfahrenen Demütigung wollte sie so schnell wie möglich ins Kloster zurück.
Aber Lucrezia zögerte noch. Fra Filippo trat so dicht zu ihr hin, dass sie den Alkohol und die grobe Seife riechen konnte, mit der er sich die Hände gewaschen hatte.
»Auf Wiedersehen«, murmelte er.
Lucrezia schenkte ihm ein scheues Lächeln.
»Danke«, stammelte sie, wandte sich ab und folgte den anderen, ohne sich noch einmal nach ihm umzudrehen.
Sie vermied es ihre Schwester anzusehen. Die Glocken des Stefansdoms begannen zu läuten, als sie den Domplatz hinter sich ließen. Bald darauf erfüllte das Geläut der Abendglocken aus allen Teilen der Stadt die Luft, während Lucrezia stumm neben ihrer Schwester ins Kloster zurückkehrte.
11. Kapitel
Am Donnerstag der dreizehnten Woche nach Pfingsten, im Jahre des Herrn 1456
Z wei Tage vor dem Fest des Heiligen Gürtels befand sich ganz Prato und Umgebung im Fieber der Vorbereitungen. An diesem höchsten Festtag der Stadt, an dem die heilige Reliquie aus der Schatulle genommen und von der Außenkanzel des Stefansdoms den Gläubigen gezeigt werden würde, wurden Besucher aus der ganzen Toskana, ja aus ganz Italien erwartet. Der Gürtel wurde in der Stadt zwar noch an vier anderen Tagen im Jahr geehrt, doch an keinem mit so viel Pomp und Aufwand, wie bei dem Fest des Heiligen Gürtels, das natürlich am Tag des Marienfestes im September stattfand.
Bäcker buken spezielle, dem Gürtel nachempfundene Festtagszöpfe, Metzger nahmen Räucherschinken vom Haken, Kerzenmacher holten ihr bestes Bienenwachs hervor, und die Ladeninhaber verdoppelten ihren Warenbestand, um dem Besucheransturm gerecht zu werden. Es würde eine Prozession geben, einen Gottesdienst natürlich, aber danach wurde gefeiert und es fanden auch Spiele und Wettkämpfe statt. Beliebt waren beispielsweise das Kartoffel-Weitwerfen und das Balancieren auf den langen Stangen der Färber, deren Bottiche das Flussufer säumten.
Die jüngere Generation richtete ihre Kostüme her und probte ihre Tänze, und auch in Santa Margherita wurde gewaschen und geputzt und sonstige Vorbereitungen getroffen. Schwester Maria schnippelte Käse und Rosinen, um daraus die Füllung für die traditionellen gefüllten Eier zu machen. Die Nonnen übten außerdem die Psalmen, die sie beim feierlichen Einzug in die Stadt singen würden. Selbst Schwester Pureza ließ sich in der Küche blicken, um eigenhändig die Kräutermischung zuzubereiten, mit der die speziellen Festbrote gewürzt wurden, die die Schwestern am Abend nach der Prozession aßen.
Äbtissin Bartolommea dagegen hatte sich in ihre Zelle zurückgezogen und die Holztruhe mit dem Heiligen Gürtel unter ihrer Pritsche hervorgeholt.
»Heilige Mutter Maria«, betete sie, ohne zu merken, wie schrill ihre Stimme klang, »lass deinen Segen und deine Gunst über
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