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Das Bildnis der Novizin

Titel: Das Bildnis der Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Albanese Laura Morowitz Gertrud Wittich
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Mönch; ihr Weg war von Gott vorgezeichnet, er durfte daran nichts ändern; sie war eine tugendhafte junge Frau, und wenn er noch einmal mit ihr allein wäre, konnte er für nichts garantieren.
    Er konnte sich nicht länger vertrauen.
    Fra Filippo schloss das Tor hinter sich und umklammerte sein Brevier. Er würde Lucrezia noch heute mitteilen, dass sie nicht mehr zu ihm kommen sollte. Ja, gleich nach dem Nonesgebet würde er es ihr sagen. Er würde freundlich, aber bestimmt sein.
    Er bat die Nonnen ins Kapitelhaus, hinter dessen dicken Mauern es kühler war als draußen. Mit hochroten Wangen, sichtlich unter der Hitze des Tages leidend, kamen die Nonnen, eine nach der anderen, herein. Selbst Äbtissin Bartolommea seufzte.
    »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes«, begann der Mönch. Sein Blick suchte verstohlen nach Lucrezia, doch er entdeckte sie nicht. Schweren Herzens setzte er die Lesung fort.
    Nachdem er den Segen gesprochen hatte, empfahl er den Schwestern, noch eine Weile im kühlen Kapitelsaal sitzen zu bleiben und über das Gelesene nachzudenken. Erneut blickte Fra Filippo in jedes einzelne Gesicht, konnte Lucrezia aber nicht entdecken. Er eilte zur Tür im festen Willen, sie zu finden.
    Aber als er in die Sonne hinaustrat, stand sie vor ihm.
    »Bruder.« Sie wirkte blass und abgekämpft.
    »Schwester. Du warst nicht beim Gebet. Bist du krank?«
    »Nein.« Sie blickte zu Boden, sichtlich um die richtigen Worte bemüht. »Ich soll wohl noch ein letztes Mal zu Euch ins Atelier kommen, Bruder, und ich würde mich freuen zu sehen, wie weit Ihr inzwischen gekommen seid. Ich …«
    »Schwester Lucrezia.« Er versuchte sie zu unterbrechen, aber sie hob die Hand und fuhr fort.
    »Ich hoffe, ich habe nichts getan, das Eure Arbeit verzögert«, stammelte sie schließlich. Sie sah aus den Augenwinkeln, dass Spinetta auf sie wartete. »Bruder Filippo«, sagte sie und holte tief Luft. »Bitte, verwehrt mir nicht die Schönheit, die Ihr mir gezeigt habt. In Eurer Arbeit. In Eurer Arbeit für Gott.«
    Sie hatten sich beide dem Allmächtigen verschrieben, und da durfte es nichts zwischen ihnen geben, nicht einmal ansatzweise. Aber all die Schönheit, die sie seit ihrer Ankunft im Kloster gesehen hatte, führte unweigerlich zu ihm. Selbst ihre Arbeit im Kräutergarten geschah teilweise für ihn: Sie bauten die Pflanzen an, die er zur Herstellung seiner Farben benötigte. Die Schönheit, die er ihr gezeigt hatte, war Nahrung für ihre Seele.
    »Bitte«, sagte sie leise. »Schönheit ist keine Sünde. Das habt Ihr selbst zu mir gesagt.«
    Fra Filippo blinzelte. Er war von der Bewegung ihrer Lippen gefangen.
    »Bitte, nehmt mir das nicht weg«, flehte sie, beinahe unhörbar. »Ich bitte Euch.«
    »Schwester Lucrezia«, sagte Fra Filippo zärtlich, »ich höre Euer Flehen.«
    »Dann darf ich also noch einmal kommen?«
    Er wusste, er sollte es nicht tun. Aber er nickte stumm.
    Als Lucrezia und Spinetta am folgenden Nachmittag das Atelier des Malers erreichten, erwartete dieser sie bereits an der Haustür.
    »Heute, meine Schwestern, werden wir einen kleinen Spaziergang machen«, verkündete er lächelnd. Er warf Lucrezia einen verstohlenen Blick zu, deren blaue Augen vor ernster Schönheit strahlten. »An dem Altarbild kann ich nicht weiterarbeiten, weil mir ein paar Farben und sonstige Dinge fehlen. Außerdem ist heute ein viel zu schöner Tag, um drinnen zu sitzen.«
    Wenn Lucrezia Kunst und Schönheit sehen wollte, dann würde er ihr zeigen, was in seiner Macht stand. Auf diese Weise konnte er sowohl Fra Pieros Rat befolgen als auch Lucrezias Bitte nachkommen.
    »Wenn es euch recht ist, werden wir den Stefansdom besichtigen und ich werde euch zeigen, wie weit ich dort mit meiner Arbeit gekommen bin.«
    Er machte eine tiefe Verbeugung. Lucrezia würde hoffentlich merken, dass er es nur ihr zuliebe tat.
    Lucrezia und Spinetta wechselten einen Blick und schauten dann Fra Filippo an. Ein Windstoß fuhr in ihre Schleier und brachte sie zum Flattern.
    »Gerne, Bruder«, versicherten ihm beide Schwestern, und Spinetta fügte lachend hinzu: »Damit würdet Ihr uns eine große Freude machen.«
    Der Mönch schloss die Tür und die drei gingen mit schnellen Schritten über den Domplatz. Sie waren eine seltsame kleine Gruppe: der hünenhafte Mönch in seiner weißen Kutte, die scharf mit seinen gebräunten, ausgeprägten Zügen und den schweren, dunklen Augenbrauen kontrastierte. Daneben die schwarz gekleideten

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