Das bin doch ich
knien ringsum die Leute nieder. Das kann auch nicht immer angenehm sein.
Am Nachmittag lege ich mich eine Stunde ins Bett. Die Kopfschmerzen lassen nach. Ich fahre ins Hilton, wo sich während des Festivals die Viennale-Zentrale befindet. Zu früh. In der Halle trinke ich ein Glas Wein. Daniel ruft an. Ich frage, ob ihm der größte Starautor der westlichen Welt schon gemailt hat. Hat er nicht. Wir reden über den Buchpreis. Morgen abend ist es soweit. Ich garantiere Daniel, er gewinnt. Er sagt nein. Ihn wollen sie nicht. Er ist bei 55.000.
Ich bemerke, es ist schon fünf nach acht und ich muß noch den Konferenzraum finden, hastig verabschiede ich mich.
55.000. Und ich warte, daß mich Karin Graf anruft.
Nicht in einem Konferenzraum, sondern in einem einfachen Hotelzimmer treffe ich die Mitjuroren, die mir die freundliche Viennale-Organisatorin vorstellt: Herrn Kaindlgruber von der ORF -Kultur, die Filmkritikerin der Oberösterreichischen Nachrichten, einen Kinobesitzer. Es fehlt nur Frau N., die ebenfalls beim ORF arbeitet und vor einem halben Jahr ein belletristisches Werk bei einem kleineren österreichischen Verlag veröffentlicht hat. Sie schreitet gegen halb neun in Rock und Stiefeletten ins Zimmer und umarmt Herrn Kaindlgruber, Küßchen, Küßchen.
Sogleich beginnt die Diskussion. Jeder nennt fünf Filme, die für ihn in Frage kommen. Ich sage nur drei, was mir das erste Naserümpfen der Filmkritikerin beschert. Es wird ein Punkt angesprochen, der mir bei der Auswahl Schwierigkeiten bereitet hat: Zwei Drittel der Arbeiten sind Dokumentarfilme, bloß sieben oder acht kann man als Spielfilme bezeichnen. Es gibt aber nur einen Preis zu vergeben. Die Organisatorin sieht das Problem, es wird aber trotzdem nicht mehr als einen Preis geben, und uns obliegt die Entscheidung, ob für einen Spielfilm oder eine Doku.
Für mich steht fest, was ich will: einen Spielfilm, ich möchte Kunst auszeichnen. Ich weiß, daß es künstlerische Dokus gibt, kunstvoll gearbeiteten Journalismus, aber von kunstvoll gearbeitet kann man bei den zur Auswahl stehenden Streifen nicht so recht sprechen.
»Ich bin für eine Doku«, sagt Frau N. »Ich lebe in einem rechtskonservativen Land, und dagegen muß man etwas tun!«
Ringsum macht sich Zustimmung breit. Der Trend geht eindeutig in Richtung Doku. Ich fordere Unterstützung für Spiele leben ein. Herr Kaindlgruber stimmt mir bei, die Filmkritikerin und der Kinobesitzer lehnen ab. Frau N. legt sich für Operation Spring ins Zeug, eine sympathische, nicht besonders gut gemachte Doku über eine Drogenrazzia im Jahr 1999 und deren Folgen. Aus dem Film geht hervor, daß 130 Schwarzafrikaner zu teilweise mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, obwohl ihre Unschuld erwiesen ist. Es geht um einen Justizskandal. Wichtiges Thema, keine Frage, aber der Film, naja, er wird nicht bleiben.
»Ja, ich finde auch, daß man diesen Film auszeichnen sollte«, sagt die Filmkritikerin. »Es wäre ein Zeichen!«
Herr Kaindlgruber nickt. »Ich bin auch dafür.«
Der Kinobesitzer gibt meinem Einspruch recht, der Film sei so schlecht gemacht, daß die Wahl auf uns zurückfallen würde. Er regt an, keinen Preis zu vergeben. » Wir, die Jury, haben uns die Entscheidung nicht leichtgemacht, doch wir sind übereingekommen, in diesem Jahr den Wiener Filmpreis nicht zu vergeben , so etwas in der Art, das wäre auch ein Zeichen!«
»Durchaus, ein Zeichen, daß wir arrogante Trottel sind«, sage ich, was mir einen unfreundlichen Blick des Kinobesitzers einträgt. »Wir sind doch nicht die Jury von Cannes, ein Preis von 7000 Euro sollte einen Preisträger finden.«
»Das sehe ich auch so«, sagt Frau N., »und deshalb bin ich für Operation Spring ! Wenn der Film prämiert wird, muß der ORF das auf Sendung bringen, er muß über den Film berichten, das wünsche ich dem ORF , und ich wünsche es diesem rechten Land!«
Meine Kopfschmerzen sind längst wieder da, und sie werden stärker.
»Das hätte wirklich etwas Gutes«, sage ich. »Wir könnten uns nächstens das Anschauen ersparen und gleich die von der Kommunistischen Jugend eingereichten Filme auswählen.«
Die Filmkritikerin neben mir japst nach Luft. Die übrigen Jurymitglieder brummen zornig auf. Ich schenke mir ein Glas Mineralwasser ein. Frau N. fragt, ob man rauchen darf. Keiner sagt etwas. Ich verziehe mich ins Badezimmer. Gedämpft höre ich von draußen die Stimmen meiner Mitjuroren. Wieso habe ich mich auf so etwas eingelassen?
Die
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