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Das bin doch ich

Das bin doch ich

Titel: Das bin doch ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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Glas. Es kann sein, daß ich etwas zu laut spreche, denn Marvin zuckt immer wieder zusammen und sieht mich ängstlich an, obwohl er ein Riesenkerl ist, größer und breiter als ich. Ich frage ihm Löcher in den Bauch, er muß mir von seiner Anstellung bei einer sozialdemokratischen Politikerin erzählen. Er sagt, der Job geht ihm auf die Nerven und er ist darin unglücklich. Ich bestätige, das ist auch wirklich das Allerletzte, und ermuntere ihn, sich nach Veränderung umzusehen.
    Ich halte Jasmin, die Kellnerin, fest und bitte um das dritte Glas. Sie fragt den Nachbarn, ob er auch noch einen Wunsch habe. Apfelsaft, flüstert er.
    »Und wie geht es so weiter mit euch?« schreie ich fröhlich.
    »Nächsten Sommer. Beginnt mein Karenzjahr. Rita. Sie will wieder. Arbeiten.«
    »Um Gottes willen!« rufe ich. »Du bist aber sehr mutig!«
    Ich versichere ihm, er ist dann gerade in der schlimmsten Zeit, also wenn seine Tochter am lästigsten, wildesten, anstrengendsten und unfolgsamsten ist, mit ihr allein. Sie wird nicht auf dich hören, sage ich, sie wird machen, wonach ihr der Sinn steht, sie wird brüllen und auf den Tisch klettern und vom Schrank springen und sich den Kopf einschlagen, und dann wird sie wieder brüllen. Und du wirst kochen und putzen und Wäsche waschen, und sie wird 24 Stunden auf deinen Nerven herumreiten.
    »Ich bewundere das«, sage ich, während er mich mit flackernden Augen ansieht, »ich könnte das nicht, ehrlich. Ich finde das großartig von dir! Wenn ich nur einen Tag mit Stanislaus allein bin, bin ich kurz davor, mich zu erschießen oder wenigstens ihn beim Fenster hinauszuwerfen, ehrlich! Sich monatelang einem Kind zu widmen, allein, das ist toll, du bist ein fabelhafter Kerl!« Und schlage ihm wieder auf die Schulter. »Versprich mir, daß du zu uns runterkommst, bevor du ausflippst, versprich es mir!« Ich presse ihm meine Finger in den Oberarm. »Versprich es!«
    »Ich muß dir was sagen«, röchelt er. »Ich bin nicht immer so. Still. Sorry. Ich bin ziemlich… ich bin… ich habe… ein paar Joints durchgezogen… bin total hinüber. Eigentlich bin ich. Hergekommen… ja. Her gekommen… weil ich allein sein… allein sein wollte.«

Sechs
    Ich habe von dem indischen Weltklasseschachspieler Viswanathan Anand geträumt. Man nennt ihn »Vishy«. Ich sagte zu ihm: »Hello, Wischi«, worauf er behauptete, ich spreche seinen Namen falsch aus, er heißt Ffffischi. Das ist solcher Blödsinn, daß ich mich wundere, warum ich nicht sofort aufgewacht bin, doch der Traum ging weiter. Da war noch etwas Kurioses, aber was? Sowieso seltsam, wieso Anand? Ich bin doch Iwantschuk-Fan.
    Ich habe keine große Lust, aufzustehen, aber ich muß. Meine Agentin, Karin Graf, erwartet mich zu einem Gespräch in München, es gibt gute Neuigkeiten für mein Buch.
    Ich schaue auf die Uhr. Fünf Minuten noch. Ich überlege. Ja – der Traum ging weiter. Ein junges Paar will mich zu einem Sexabend überreden. Der Mann hat eine seltsam hohe Stimme. Er ruft mich an und beklagt sich, ich habe versprochen, mit seiner Frau zu schlafen. Ich antworte, mir paßt das nicht. Er insistiert, ich hätte es doch versprochen. Ich sage, heute nicht, vielleicht morgen, und dann bin ich zum Glück aufgewacht.
    Ich dusche, ziehe mich an, frühstücke, wie immer mit Stanislaus auf dem Schoß. Morgens etwas Eigenes zu essen fällt ihm nicht ein, da trinkt er seinen Kakao. Dafür ißt er seinem Papa das halbe Frühstücksbrot weg. Das heißt, er ißt das Brot nicht, er leckt die Butter ab, was er mit lautem »Puta! Puta!«-Geschrei kommentiert. Solange er das tut, fahre ich mit ihm nicht nach Spanien auf Urlaub.
    Ich schleppe meine Tasche zum Bus. Ich denke über den Kannibalen Meiwes nach, ausgelöst durch einen Passanten, der ihm ähnlich sieht. Ich überlege, daß viele der Menschen, die mir da entgegenlaufen, sich vermutlich beim Anblick ihrer Entgegenkommenden Verschiedenes denken. Sich bei meinem Anblick etwas denken, so wie ich es ja auch bei ihnen tue. Der eine will mich vielleicht verhauen, der andere beschimpfen, der dritte auslachen. Einer wie Meiwes aber, der will mich fressen . Das ist schon ein beunruhigender Gedanke.
    Einfacher wäre es natürlich, jetzt nach Schwechat zu fahren und in ein Flugzeug zu steigen, aber Flugangst, schreckliche Flugangst. Also Westbahnhof.
    Dort folge ich einem Ritual. Zunächst leiste ich mir den Luxus, meine Tasche für drei Euro ins Schließfach zu sperren. Zum einen, um die Hände frei zu

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