Das bin doch ich
und Länderspiele. Welcher französische Schriftsteller in meinem Alter würde nicht gern mit Michel Platini zu Mittag essen? Welcher deutsche nicht gern mit Franz Beckenbauer? Okay, das vielleicht doch nicht, sagen wir: mit Wolfgang Overath oder Günter Netzer? Auch wenn man sich für Fußball nicht mehr so stark interessiert wie in Kindheit und Jugend, die alten Helden aus der Nähe zu sehen reizt.
Wir bestellen die Getränke, ich nehme Mineralwasser. Wein wäre mir lieber, aber wie sieht denn das aus, um zwölf Uhr mittag noch vor dem Essen Alkohol zu trinken. Dann kommt Prohaska und bestellt sich ein Glas Bier. Er fragt, ob ich die Krawatte eigens wegen ihm umgebunden hätte, ich verneine und erkläre ihm, ich trage regelmäßig und gern Krawatten. Das stimmt auch und beschert mir mit unerbittlicher Regelmäßigkeit abfällige Kommentare von Thomas Maurer und dem Mitarbeiter der Wiener Village Voice.
Toni, ein typischer Sportjournalist, der sich, bedingt durch Termindruck und Redaktionsschlußzeiten, hauptsächlich von Pizza ernährt, bestellt Backhendl. Prohaska und ich wollen die Goldbrasse. Die Kellnerin nickt. Kurz darauf kommt Peter, der Wirt, der zugleich Chefkoch ist, an unseren Tisch und entschuldigt sich, Brasse sei aus, er biete uns eine feine Lachsforelle an.
Prohaska verzieht das Gesicht. »Nein, Lachs mag ich nicht.«
»Aber das ist kein Lachs«, erkläre ich eifrig, »Lachsforelle ist eine Forelle.«
»Das weiß ich«, sagt Prohaska.
»Das kriegen wir schon hin«, beharrt Peter, »eine sehr gute Forelle, halb gar, wird wunderbar, mit Fenchel und Calamari, Sie werden sehen, es wird Ihnen schmecken!«
»Halb gar?« wiederhole ich. »Das mag ich nicht.«
»Aber ja«, sagt der Wirt, »eine sehr gute Forelle, sie wird dir schmecken!«
Er deutet mit den Händen, ruhig Blut, wir machen das schon.
»Statt der Calamari hätte ich gern Kartoffelpüree«, sage ich.
Unser Gespräch dreht sich in der Hauptsache um Fußball. Dazwischen sprechen wir über Essen und Wein. Ich erzähle von meinem Turnlehrer, der vor der Klasse verkündete, jemand, der in Leibesübungen eine schlechtere Note bekomme als Befriedigend, sei beinamputiert. Ich hatte ein Nicht genügend, und er mußte sich entschuldigen. Die Geschichte sorgt kurz für Heiterkeit. Gleich sind wir wieder beim Sport. Eigentlich rede ich nicht so wahnsinnig gern über Fußball, aber diese Gelegenheit kann ich nicht auslassen. Manchmal führen Toni und Prohaska eine kurze Nebenunterhaltung über ein aktuelles Thema, von dem ich zuwenig weiß, dann widme ich mich meinem Kater, der immer heftiger wird. Ich habe Kopfschmerzen und hänge meinen Gedanken nach. Ich horche auf, als der Name Vogel fällt, Peter Vogel. Der Schauspieler Peter Vogel, so erfahre ich, hat vor Jahrzehnten seinen Sohn zum Training von Austria Wien gebracht.
»Peter Vogel, der hat sich doch aufgehängt«, sage ich vor mich hin. »Der Schauspieler, hat sich der nicht aufgehängt? Der war doch krank oder so, oder depressiv, und dann hat er sich…«
Ich schaue auf. Der größte Fußballer der österreichischen Geschichte stochert in seiner Lachsforelle und nickt ausdruckslos. Es fällt auf, denn gewöhnlich lacht er. Oder lächelt. Es ist wahr, ich kenne keinen Menschen, der ständig so vergnügt aussieht wie er. Ich beeile mich, zum Thema Fußball zurückzukehren. Dann lasse ich die beiden reden und widme mich meinen Kopfschmerzen.
Es ist sehr interessant, eine Ikone zu treffen. Aber fast ebenso interessant wie die Person finde ich zu beobachten, wie ihr andere Leute begegnen. Vor kurzem sah ich Prohaska bei einer Veranstaltung. Er signierte in einer Ecke seine Biographie. Rund um ihn standen Männer unterschiedlichen Alters, hörten ihm zu und starrten ihn an. Oder hörten ihm nicht zu, doch sie starrten ihn an. Keiner näherte sich ihm auf mehr als zwei Meter. Es muß sonderbar sein, so zu den Leuten sprechen zu müssen anstatt mit ihnen.
Auch jetzt sehe ich diese Distanz, und sie geht nicht von Prohaska aus. Toni nimmt sie ihm gegenüber ein, obwohl er sein Biograph ist. Wenn er, sich an mich wendend, über ihn spricht, sagt er »der Herr Prohaska«. Es soll respektvoll sein, es ist auch respektvoll, aber es ist mehr als das. Darin liegt ein Zu-ihm-Aufschauen, das weniger soziale als psychologische Ursachen hat. Prohaska » ist einfach mehr«, würde Toni wohl sagen, wenn er sich bewußtmachen würde, was er da tut. Prohaska ist natürlich, redet natürlich, und trotzdem
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