Das bin doch ich
nichts. Er liegt auf der Intensivsta…«
Ich brülle auf wie ein Vieh. Die erschrockene Reaktion der Frau mit dem Kreuzworträtsel macht mir bewußt, daß das nun wirklich nicht geht. Ich versuche es wieder mit Ohrenzuhalten. Hilft nichts, ich höre immer wieder schreckliche Worte. Vielleicht bilde ich sie mir auch ein. Ich stecke mir die Freisprecheinrichtung meines Mobiltelefons ins Ohr und rufe die Zeitansage an. Das freie Ohr halte ich zu. Auf der anderen Seite drücke ich den Knopf direkt in meinen Gehörgang, so daß mir eine Frauenstimme mit betäubender Lautstärke mitteilt:
ES WIRD
MIT DEM SUMMTON
DREIZEHN UHR
ZWEIUNDZWANZIG MINUTEN
UND VIERZIG SEKUNDEN
PIEP .
Sieben
Kurz nach zwölf. Mit Kopfschmerzen und pelzigem Geschmack im Mund gehe ich ins Badezimmer. Was ich im Spiegel sehe, freut mich nicht. Die Haare fallen mir aus, deswegen schmiere ich meinen Kopf seit Monaten morgens und abends mit Capillotin ein, ich will ja nicht mit vierzig aussehen wie Hunter Thompson. Die ersten Falten sind zu sehen, die ersten grauen Barthaare sprießen, die Augenringe sind kein temporäres Phänomen mehr. Außerdem brauche ich nicht mehr nur wenige Stunden, um mich von einem langen Abend zu erholen, sondern zwei volle Tage. Wieso schreiben die Zeitungen, ich sei ein Jungautor?
Daniel hat den Buchpreis nicht gekriegt. Den Buchpreis hat Arno Geiger gekriegt.
Er hat mir alles über die Preisverleihung erzählt. Ich stelle mir vor, wie es wäre, mit Die Arbeit der Nacht in diesem Saal zu sitzen und zu warten, ob ich es bin. Muß erfreulich sein, aber auch nervenaufreibend.
Daniel hat den Deutschen Buchpreis nicht gekriegt. Finde ich unglaublich. Ich kenne Arnos Buch noch nicht, es wird bestimmt toll sein, aber ich konnte mir nicht vorstellen, daß in diesem Jahr irgendein Buch besser ist als Die Vermessung der Welt . Wieso hat Daniel nicht gewonnen?
»Na ja, ich brauche den Preis ja nicht so sehr«, sagt er, und ich höre, er will etwas sagen.
»Spuck’s aus.«
»Siebzigtausend.«
Meine Schwiegermutter ist zu Besuch. Sie und Else sind mit Stanislaus in der Mariahilfer Straße unterwegs. Mir ist das in meinem Zustand nicht unrecht. Ich setze mich an den Computer.
Posteingang (1)
Günter Kaindlgruber
Jurybegründung
4k
Wiener Filmpreis… Operation Spring… Dokumentation über die Verurteilung von etwa 100 Afrikanern wegen angeblicher Drogendelikte… gesellschaftliche Mißstände aufdecken… unbequeme Wahrheiten aussprechen… Borniertheit, Arroganz und Dünkel der Mächtigen ans Licht bringen… Es hat in der Jury… wollen nicht verhehlen… intensive Diskussionen über handwerkliche Qualitäten… Daß wir trotz Einwände… preiswürdig halten… Mut… Beharrlichkeit… rassistische Behördenwillkür… usw usf
Ich habe solche Kopfschmerzen, ich wanke zum Kühlschrank und schenke mir ein großes Glas Weißwein ein. Immerhin ist es ja schon bald eins, also nach Mittag, da darf man schon eines trinken. Ich trinke es, und dann, weil es mir rasch bessergeht, trinke ich noch eines.
So ein Tagrausch ist nicht übel, denkt es in mir, während ich in einer Wolke von Wohligkeit und Geborgenheit zurück ins Arbeitszimmer schwebe.
Ich starte Civ 3 . Wehmütig denke ich daran, daß dieser Tage Civ 4 erscheint und mein Computer zu altersschwach ist, um das Spiel zu verkraften. Ich überlege, mein Konto noch weiter zu überziehen und einen neuen anzuschaffen. Aber wie erkläre ich das Else? Entschuldige bitte, der Kurzurlaub zu Weihnachten ist abgesagt, weil ich Civilization spielen muß? Diese byzantinische Auseinandersetzung erspare ich mir lieber.
Ich spiele die Russen auf dem Level Monarch. Der Anfang und der Mittelteil des Spiels sind immer am unterhaltsamsten. Sie sind von strategischen Überlegungen dominiert, am Ende geht es nur noch darum, mit aller Militärkraft über die Gegner herzufallen. Oft bauen sich in mir solche Aggressionen gegen eine mich über Jahrhunderte quälende Nation auf, daß ich dann, wenn es endlich an der Zeit ist, mit Gefühlen der Wollust und des heiligen Zorns meine Interkontinentalraketen zu ihnen schicke.
Es ist ein sonderbarer Anblick, wenn Pilzwolken die Erde überziehen. Es mag unsinnig klingen, aber trotz aller Rachegefühle gegenüber meinen Feinden drücke ich immer mit schlechtem Gewissen auf den roten Knopf. Ich bin wirklich ein Kind der Achtziger.
Das Telefon läutet. Ich kümmere mich nicht darum. Nach einer Weile läutet es wieder. Ich gehe in die Küche und
Weitere Kostenlose Bücher