Das bin doch ich
sagen. Ich schaue stur geradeaus. Irgendwie kreuzt mein Blick den des Stadtrats. Der Kasuar ruft mir grinsend zu: »Sie trifft man aber auch überall!«
Hinter ihm nehme ich das strahlende Gesicht von Frau N. wahr, es blitzt auf wie eine Erscheinung in einem Spukfilm, in dem man nicht weiß, ob das jetzt wirklich da war oder nicht. Zur Sicherheit halte ich den Kopf gesenkt.
Ich möchte Tony Blair sein.
Weber und die Freundin kehren mit drei großen Tellern zurück, auf denen Berge von Eßbarem gestapelt sind. Ich komme wieder mit Konradin ins Gespräch. Etwas in mir schreit mir unablässig zu: Das hast du nicht nötig, unterhalte dich nicht mit dem eitlen Wicht, laß es. Im nächsten Moment höre ich mich sagen:
»Kennen wir uns aus dem Rabenhoftheater?«
Konradin, Hühnerkeule in der Hand: »Da war ich« – schmatz, schmatz – »neulich bei einem« – schmatz – »Theaterstück. War ein tolles Stück!«
Meine Lippen formen Worte, zugleich glaube ich zu träumen, ich kann nicht fassen, daß ich sie tatsächlich ausspreche:
» DAS . WAR . VON . MIR .«
»Hmpft!« ruft er mit vollem Mund, und seine Augen weiten sich. Er schluckt hinunter. »Wie es geheißen hat, weiß ich nicht mehr.«
Er weiß nicht, wie das Theaterstück hieß, das er sich angesehen hat?
»Es war ein Stück…« – schmatz – »mit vielen Personen« – schmatz – »hat mir sehr gut gefallen.« – Schmatz – »Von dir war das?«
»Das war dann doch nicht von mir«, sage ich und denke traurig an Thomas Maurer, wie er allein auf der Bühne steht und den Text deklamiert.
»Wie heißt dein Stück?«
» Der Kameramörder !«
Konradin beugt sich zu Weber, der seinerseits gerade mit einer Hühnerkeule beschäftigt ist.
»Kennst du das Schmatztheaterstück Kameramörderschmatz?«
»Kameramö…? Nie gehört!« Er beißt in sein Huhn, ich höre die Knochen krachen.
Weit und breit gibt es keinen Taxistand, doch ich habe Glück. Gerade hat eines neue Gäste gebracht. Ich steige ein. Eine Fahrerin, ich schätze sie auf Mitte Fünfzig. Sie freut sich über die Kundschaft für den weiten Weg zurück. Mit ihrer Stimme scheint es etwas auf sich zu haben, sie spricht langsam und klagend.
Auf der langen Geraden durch den Prater, in der keine Autos parken und auf der es keinen Gegenverkehr gibt, wundere ich mich. Hier sind 50 erlaubt, ein normaler Mensch fährt mindestens 60, wir aber zwischen 30 und 40. Ich sage nichts, vielleicht muß der Motor erst warm werden, oder was auch immer, es wird seinen Grund haben.
Wir fahren minutenlang über eine leere Straße. Wir kommen an eine Kreuzung, biegen nach links ab. Auch diese Straße ist lang, ist breit, und niemand kommt uns entgegen. Wir fahren 35. Und brauchen lange, um dieses Tempo zu erreichen, denn meine Fahrerin schaltet mit so ungeschickten Handgriffen, als sei sie Fahrschülerin.
Er zeigt es allen! Die haben keine Chance gegen ihn!
Ich knüpfe mit der Frau eine Unterhaltung an. Sie hat eine weinerliche Stimme und scheint vom Land zu kommen. Ich hoffe, sie durch die Ablenkung zu schnellerem Fahren zu verleiten, doch das Gegenteil ereignet sich. Ab und zu werden wir von wütend hupenden Autos überholt. Dann sinkt vor uns eine Bahnschranke. Wir bleiben stehen.
»Oje«, sagt die Fahrerin.
»Wieso oje?« frage ich, denn mir scheint, es ist kein gewöhnliches Oje gewesen, das man vor Bahnschranken ausstößt, und ich höre gleich, wie recht ich habe:
»Hier ist ein Verschubbahnhof. Das kann dauern.«
»Wie lange?«
»Fünfzehn Minuten. Halbe Stunde. In der Nacht erledigen sie viel.«
Sie stellt den Motor ab. Ich starre in die Dunkelheit. Rechts von uns sehe ich Eisenbahnschienen, links eine Allee, in einiger Entfernung ein paar unbeleuchtete Häuser. Dead end. Ich frage mich, wieso die Frau sich vor zu schnellem Fahren fürchtet, aber keine Angst hat, ihr Fahrgast könnte ein Mörder sein.
Vier Minuten. Sieben Minuten.
»Und wenn wir einfach umdrehen? Es wird ja wohl noch einen anderen Weg in den fünften Bezirk geben.«
»Gibt es«, sagt sie, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. »Aber das ist ein furchtbarer Umweg. Sie wollen sicher nicht fünfzig Euro für eine Fahrt in die Innenstadt zahlen. Oder?«
Das will ich wirklich nicht, ich schweige. Wieder vergehen einige Minuten. Hinter uns steht kein einziges Auto. Eine so abgelegene Gegend habe ich nie zuvor gesehen.
»Das ist doch eigentlich eine halbe Bahnschranke. Sie reicht nur bis zur Mitte der Fahrbahn. Links gibt es
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