Das bin doch ich
keine, und auf der anderen Seite gibt es auch nur eine halbe. Schranken gibt es nur in Fahrtrichtung.«
»Ja«, sagt sie.
»Da kommt bestimmt noch länger kein Zug«, locke ich.
»Ich kann da nicht über den Bahnübergang fahren, ich kann es nicht! Wenn man mich erwischt, werde ich böse gestraft!«
»Richtig«, sage ich resigniert.
»Ich werde böse gestraft!« jammert sie.
Nach siebzehn Minuten kommt der Zug.
»Na, sehen Sie!« rufe ich fröhlich, und ich muß mich zurückhalten, um der Fahrerin nicht von hinten aus Freude auf die Schulter zu schlagen.
»Gott sei Dank«, sagt sie.
Ta-Tamm, Ta-Tamm, Ta-Tamm. Zehn Waggons, wieder zehn, weitere zehn. Der Zug nimmt kein Ende.
»Ein langer Zug!« nickt die Fahrerin.
Endlich. Zug ist vorbei.
Schranke öffnet sich nicht.
Es vergehen vier Minuten. Sieben. Das Schweigen im Wagen ist so peinlich, daß ich mich für meine Atemgeräusche schäme.
Zug kommt. Ta.Tamm. Ta.Tamm. Ta.Tamm.
»Ein langer Zug!« weint die Fahrerin.
Die Schranke öffnet sich nicht. Ich nicke wissend. Sage nichts. Lache hysterisch.
Nach weiteren vier Minuten fährt eine einzelne Lokomotive vorbei, und die Schranke öffnet sich. Ich bin nicht einmal erleichtert. Wir schweigen. Die Fahrerin legt langsam und umständlich den Gang ein, fährt los. Schaltet langsam und umständlich in den zweiten Gang. Bei 30 Stundenkilometern schaltet sie in den dritten Gang, erhöht jedoch das Tempo nicht mehr.
Wir fahren mit 30 Stundenkilometern Richtung fünften Bezirk. Werden überholt.
Das war die beste Rede, die ich in meinem Leben gehört habe .
Acht
Schon im Flur gibt es eine kleine Auseinandersetzung zwischen Else und mir: Ich habe nicht daran gedacht, die Winterreifen montieren zu lassen. Mein offizieller Standpunkt ist, daß wir erst November haben, weit und breit kein Schnee zu sehen und auch keiner zu erwarten ist. Aber in Wahrheit hat sie recht, das sollte erledigt werden.
Im Halbschlaf dusche ich, das Gesicht zur Wand gedreht. Wie immer konnte ich erst gegen vier einschlafen, und um acht Uhr früh aufzustehen bin ich nicht gewöhnt. Ich fluche vor mich hin und beschimpfe mich dafür, daß ich mich zu diesem Familientreffen habe überreden lassen. Wenigstens bin ich nicht verkatert, ich habe schon zwei Wochen Karenz hinter mir, ganz ungewollt, ich bin ein Anlaßtrinker, und in letzter Zeit hatte ich keinen Anlaß.
Die Fahrt nach Graz verläuft angenehm. Stanislaus schläft bald ein, darauf schließt auch Else die Augen, und ich tue das, was ich beim Autofahren immer tue, ich lasse die Gedanken treiben. Ich halte das Tempo, 150, starre auf die Straße und denke vor mich hin.
Mitunter kommen mir am Steuer gute Ideen. Heute nicht, bin zu müde. Ich konzentriere mich darauf, meine eigene Vorgabe, in welcher Zeit ich die Strecke schaffen sollte, zu unterbieten. Zu Beginn jeder Fahrt schätze ich, wann ich mein Ziel erreicht haben sollte, es ist ausnahmslos eine konservative Schätzung, die stillschweigend die Möglichkeit einer Panne, einer Rast einrechnet. Natürlich schaffe ich es schneller und freue mich dann, fünf Minuten, zehn, zwanzig, je mehr, desto besser.
Ich lade Stanislaus und Else bei meiner Schwiegermutter in Graz ab und fahre gleich weiter. Ich bin früh dran, kein Grund zur Eile, doch vor Familienzusammenkünften habe ich gern noch eine halbe Stunde für mich allein.
Seit jeher trifft sich meine Familie im Gasthof Wurm in Frauenkirchen, einem Ort in der Südsteiermark. Eine Hauptstraße, drei Seitenstraßen, ein paar Geschäfte (Damenmode, Damenfriseur, Tankstelle), und schon ist man am Ortsende. Wer als erster auf die Idee kam, hierher zu fahren, und wer dieses Gasthaus entdeckt hat, ist nicht überliefert, jedenfalls sind »wir« schon an Sonntagen hier gewesen, als ich noch nicht geboren war. Frauenkirchen bietet an Freizeitmöglichkeiten ein Schwimmbad und einige Wanderwege sowie seit einigen Jahren ein Bordell, was bei jedem Besuch Gegenstand bösartiger Erörterungen ist. Ob man im Gasthaus gut oder schlecht ißt, kann ich nicht sagen. Ich war schon als kleiner Junge hier, ich kenne die Küche, ich esse immer das gleiche: ein möglichst dünn geklopftes Wiener Schnitzel vom Schwein. Man kennt mich hier, ich bin der Thomas , und stets werden Anekdoten von früher erzählt.
Ich setze mich an einen Tisch in der Nähe der Theke. Gertraud, die Wirtin, erkennt mich, kommt zu mir, schüttelt mir die Hand.
» DER THOMAS ! Ja so eine Freude! Wie geht es denn immer?«
Ich
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