Das bin doch ich
wundern.
Plötzlich ist das Gasthaus voll. Kellnerinnen laufen in Tracht umher, Kinderstimmen erklingen, Hunde bellen, Gläser klirren, es riecht nach Rauch und Speiseöl. Meine Familie fragt nach Else und Stanislaus. Wahrheitsgemäß erkläre ich, Else wäre gern mitgekommen, aber mit dem Kleinen bedeutet das allzu großen Streß, da er ständig herumläuft. Sie wollen Neues über ihn wissen. Ich antworte ihnen ausführlich, denn man redet ja gern über sein Kind. Eltern, deren einziges Thema die Kinder sind, finde ich anstrengend, hier jedoch weiß ich, wie gern alle zuhören, also rede ich, bis die Getränke serviert werden.
Meine Oma fragt, ob ich im Sommer in Bibione Francesco guten Tag gesagt habe. Ich verneine, worauf sie ungehalten wird. Ich erkläre ihr, daß ich, wenn ich einmal fünf Tage allein Urlaub mache und es mich aus Aberwitz und nostalgischer Neugier ausgerechnet in einen unmondänen Ferienort an der Adria verschlägt, keine Lust habe, mich in dem Hotel vorzustellen, das sie zweimal im Jahr besuchen.
»Aber Francesco hättest du guten Tag sagen müssen«, sagt sie.
»Oma, warum soll ich in ein fremdes Hotel gehen und mich irgendeinem Angestellten vorstellen, nur weil ihr ihn kennt?«
»Francesco ist doch der DIREKTOR !«
»Oma, warum soll ich mich einem Hoteldirektor vorstellen?«
»Aber das ist doch ein Freund von uns!«
»Ich gehe also hinein und sage guten Tag, ich bin der Enkel der Familie Schneider aus Graz? Und was dann?«
»Dann hast du dich vorgestellt.«
»Oma, ich stelle mich aber keinem Hotelmenschen vor.«
Beleidigt erklärt sie, daß das blöd von mir ist, und weil sie gerade dabei ist, verrät sie mir, daß meine Frisur auch blöd ist. Daß ich eine Frisur habe, ist mir noch gar nicht aufgefallen.
Ich beuge mich zu meiner Mutter und erzähle ihr, daß Oma mit mir unzufrieden ist.
»Francesco sollst du guten Tag sagen?« ruft sie. »Dieser Schwuchtel?«
Das Essen kommt, allseits steigt die Laune, nur meine nicht, denn das Schnitzel ist zu dick. Wir sitzen im großen Saal, alle anderen Tische sind ebenfalls besetzt, ringsum schmaust das Landvolk, dementsprechend laut ist es, die Bewohner der Südsteiermark haben nämlich die Angewohnheit, sich ausschließlich schreiend zu unterhalten. Wohin man auch schaut, überall sieht man weit aufgerissene Münder und große Fleischstücke, die schnell in ihnen verschwinden. Die Unterhaltung an unserem Tisch wird wegen der Geräuschkulisse von Schmatzen und Brüllen und Geschirrgeklapper ebenfalls laut geführt, was aber niemanden zu irritieren scheint.
Eine Weile unterhalte ich mich mit Lisa und Lonnie. Sie ist 23, er 20, sie erzählen mir Geschichten aus dem Alltag in Milano. Eine Weile geht alles gut, aber dann wird ringsum schon so laut gesprochen, daß ich mithören muß. Arnold Schwarzenegger. Er hat der Stadt Graz seine Gunst entzogen, weil Grazer Politiker ihm die Ehrenbürgerschaft aberkennen wollten, nachdem er als Gouverneur von Kalifornien einen zum Tod Verurteilten nicht begnadigt hatte. Plötzlich scheinen alle am Tisch miteinander zu streiten, obwohl sie einer Meinung sind: Schwarzenegger hat es den dummen Grazer Politikern gezeigt. Schwarzenegger ist ein Held. Schwarzenegger ist toll. Vom Nebentisch drehen sich Fremde um und mischen sich ein: Jawohl, ganz recht, Schwarzenegger hat großartig gehandelt. Vom anderen Nebentisch ruft einer meinem Opa zu, er sei mit Arnie zur Schule gegangen. Mein Opa prostet ihm zu und lächelt sein feines David-Niven-Lächeln.
Ich erzähle meiner Mutter einen meiner Lieblingswitze, den vom Kindermörder. Sie wird von einem Lachanfall geschüttelt. Mein Opa weist sie zurecht, sie soll nicht so laut lachen, man muß sich mit ihr genieren. Sie nimmt es zur Kenntnis. Sie ist die älteste der drei Schwestern, sie war die erste, die ein Kind bekommen hat, sie mußte von Anfang an mehr einstecken, und sie scheint sich daran gewöhnt zu haben. Ich verstehe es trotzdem nicht. Wenn irgend jemand mit mir so redet, werde ich unangenehm.
100.000.
!!!!!!!! Bravo! Gratuliere! !!!!!!!!
Meine Oma nimmt mich wieder aufs Korn. Sie wünscht sich, daß ich in die Küche des Gasthauses gehe und die alte Wirtin begrüße.
»Oma, ich möchte lieber nicht.«
»Jetzt geh schon und sag guten Tag.«
»Es ist mir nicht recht. Was soll ich da in der Küche, sie hat bestimmt viel zu tun.«
»Für das Grüßen ist immer Zeit. Geh jetzt, sie freut sich!«
»Ana happa-happa-happa, brm-afa«, murmle ich und drehe
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