Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das bin doch ich

Das bin doch ich

Titel: Das bin doch ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
Vom Netzwerk:
getrunken. Am Abend das Treffen mit Beate, einer weiteren Ärztin, die mir damals auf meinen Artikel hin geschrieben hatte. Anders als Frau Thallner hat sie bereits einen Mann, sie hat sogar zwei kleine Kinder, unsere Treffen sind also relativ ungefährlich. Generell finde ich zwar, Sex ist die netteste Art, sich kennenzulernen, aber da wir beide mit anderen verheiratet sind, fällt das aus. Wir reden über meine Hypochondrie, und ob der Schmerz hier und jener da etwas Gefährliches sein könnte. Die Frau hat eine Engelsgeduld.
    Ich weiß mit Sicherheit, daß ich gegenüber Beate keine Annäherungsversuche unternommen habe, aber die moralische Last, die Angst, die ich fühle, all das scheint aus dieser Richtung zu kommen: Du hast möglicherweise etwas getan, was du lieber hättest bleibenlassen. Womöglich habe ich – jemanden geschlagen? Läutet bald die Polizei?
    Rekapituliere: Ich muß etwa zehn Glas Wein getrunken haben, vielleicht elf, höchstens aber zwölf. Demnach so eineinhalb Liter. Das ist viel, aber ich hatte schon mehr, ohne daß ich mich danach so elend fühlte wie heute. Was ist los? Habe ich womöglich einen Leberschaden? Am liebsten würde ich gleich wieder Beate anrufen, aber ich traue mich nicht, sie hält mich ohnehin schon für total plemplem.
    Ich überlege, ob man mit 33 schon einen Leberschaden haben kann, wenn man so trinkt wie ich. Ich versuche mich zu beruhigen: Du hast zwei Wochen lang nicht einmal einen Schnaps nach dem Essen getrunken, gar nichts hast du getrunken, du trinkst nicht so viel, du trinkst ja fast nur, wenn du ausgehst. Du hast keinen Leberschaden.
    Aber wieso fühle ich mich so schaurig? Vielleicht sollte ich doch Beate anrufen.
    Der Nachbar beginnt wieder zu bohren. Ich höre draußen Elses Stimme, dann die von Ursel: »Will der Stanislaus mit der Oma spazierengehen?«
    Ich ziehe mir das Kissen über den Kopf. Nach wenigen Sekunden tauche ich wieder auf, denn ich bekomme keine Luft, und mir wird noch übler.
    In Unterhosen, zum Anziehen bin ich zu schwach, Ursel muß den Anblick ertragen, gehe ich hinaus. »Oh!« sagt Else. Ich winke ihr zu, dann sperre ich mich in der Toilette ein. Um mich dreht sich alles.
    Danach mache ich mich zitternd auf den Weg ins Badezimmer, um mir die Zähne zu putzen. Else schaut mich an und fragt, ob es mir nicht gutgeht. Ich schüttle den Kopf. Sie drückt mir mein Mobiltelefon in die Hand und sagt, meine Mutter hat angerufen und von ihren starken Blähungen nach dem Essen erzählt. Ich nicke nur und gehe ins Bad. Aus dem Apothekenschrank hole ich mir Kohletabletten. Ich nehme vier. Gerade als ich mich ins Bett lege, beginnt der Nachbar wieder zu bohren.
    Allmählich verstehe ich, was mit mir los ist. Stanislaus hat mich mit der Darmgrippe angesteckt, die er vor zwei Tagen hatte. Das ist immer so: Er fängt sich ein Virus ein und ist einen Tag lang krank, dann steckt er uns an, und wir leiden eine Woche. Wenigstens weiß ich jetzt, warum es mir so elend geht, ich habe keinen Leberschaden, ich habe eine schlimme Darmgrippe und einen Kater.
    Per SMS frage ich bei Beate nach, ob sie auch krank ist. Ist sie nicht, aber ihr geht es vom Wein schlecht. Ich denke mitleidig an sie, die Arme muß verkatert zwei Kleinkinder betreuen. Ich nur eines, nämlich mich.
    »Wenn der Stanislaus sich nicht anziehen läßt, können wir nicht spazierengehen!« ruft Ursel streng.
    Vorsichtig strecke ich mich aus. Auf dem Bauch kann ich nicht liegen, mir wird sofort übel. Ich liege auf dem Rücken und warte. Daß es vorbeigeht. Daß es besser wird.
    Ich muß eingedöst sein. Ich erwache vom Klingeln des Handys, meine Mutter.
    » WAS LESE ICH DA , DEIN FREUND KRIEGT SCHON WIEDER EINEN PREIS ?«
    »Was?«
    »Steht in der Zeitung! Kriegt den Adenauer-Preis!«
    »Ja, ich weiß. Ist doch schön.«
    » WAS BRAUCHT DENN DER NOCH EINEN PREIS ? Wie viele Bücher hat der denn schon verkauft?«
    »Über 130.000. Aber…«
    » HUNDERTDREISSIGTAUSEND ? Hat der nicht schon genug verdient mit seinem Buch?«
    »Was willst du denn, es ist doch wunderbar, wenn mal ein gutes Buch ausgezeichnet wird… nicht immer nur dieses träge Zeug, das niemand liest… ja, sein Buch verkauft sich toll, aber wieso sollte man ihm deshalb keinen…
    » WANN SCHREIBST DENN DU MAL SO WAS ?«
    »Wie bitte?«
    » WANN SCHREIBST DENN DU MAL EIN BUCH , DAS SO EINEN ERFOLG HAT ?«
    »Ich weiß nicht, hm.«
    » WÄRE NICHT SCHLECHT !«
    »Ganz recht, ja, wäre nicht schlecht. Du, ich muß jetzt

Weitere Kostenlose Bücher