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Das bin doch ich

Das bin doch ich

Titel: Das bin doch ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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aufhören.«
    » TSCHÜS !«
    Es gelingt mir, wieder einzuschlafen. Auch diesmal ist es das Handy, das mich weckt. Daniel beschwert sich über den Blödsinn, der über ihn geschrieben wird.
    »Was genau regt dich auf?«
    »Na die wollen schreiben wie ich BIN ! Die wollen was über mich schreiben als PERSON verstehst du als MENSCH wie ich bin wollen sie ihren Lesern vermitteln und da schreibt einer ich sei der SCHRIFTSTELLER - SCHLAKS ! Also bitte bin ich schlaksig?«
    Um ihn aufzuheitern, erzähle ich ihm vom Anruf meiner Mutter. Er will es mir zuerst nicht glauben, aber dann fällt ihm ein, daß ich niemals lüge. Ich verabschiede mich und schlafe weiter.
    Als ich wieder aufwache, fällt mir ein, wovor ich mich schon die ganze Zeit so fürchte. Es ist nicht die Polizei. Oder zumindest nicht so sehr, denn ich kann mich an keinen Streit und keine Rauferei erinnern. Nun, das will nicht viel heißen, vielleicht habe ich wirklich irgendeine Nase gebrochen, aber dagegen spricht, daß ich unverletzt bin, und das wäre ich bestimmt nicht, wenn ich mich mit jemandem angelegt hätte. Nein – ich habe Angst, vor dem Schlafengehen um drei Uhr früh noch Mails geschrieben zu haben.
    Ach Gott. Was habe ich geschrieben? Wem?
    Es passiert mir immer wieder. Ich weiß, ich sollte es nicht tun, und dennoch setze ich mich im Zustand erheblicher Beeinträchtigung durch Alkohol an den Computer. Sentimental, aggressiv, selbstmitleidig, oberschlau, einmal etwas davon, einmal alles zusammen. Dann schreibe ich Mails an Menschen, denen ich in solchem Zustand auf keinen Fall schreiben sollte. An alte Freunde, die ich lange nicht gesehen habe. Oder an alte Freunde, mit denen ich schon seit langer Zeit zerstritten bin und die ich in nüchternem Zustand nie wieder sehen will.
    Wem habe ich gestern was geschrieben?
    Ich muß wieder zur Toilette. Vorne wird es allmählich besser. Auf dem Weg zurück ins Schlafzimmer komme ich am Arbeitszimmer vorbei, der Computer ist eingeschaltet, ich könnte meine Mails abrufen. Wenn ich Sonderbares ausgeschickt habe, ist damit zu rechnen, daß ich auch schon Antwort bekommen habe. Na, und dann wüßte ich es. Was ich so geschrieben habe und wem.
    Aber ich glaube, ich will das nicht wissen, nicht jetzt.
    Eine Weile versuche ich zu lesen, einen Roman von Knut Hamsun. Mir wird schwindlig. Ich bekomme Fieber. Ich habe schon darauf gewartet, denn bei Infektionen fiebere ich schnell. Ich weiß nie, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen ist, ob es bedeutet, daß mein Immunsystem gut oder schlecht arbeitet. Im Zweifelsfall fürchte ich mich.
    Ich hole mir Cola. Ich trinke selten Cola, aber bei Darmgrippe darf man. Mir fallen die Horrorgeschichten ein, die man in meiner Kindheit über das süße schwarze Gesöff erzählt hat: Es ist so ungesund, daß es einem den Magen durchätzt, jedenfalls auf Dauer. Jemand hat ein Experiment gemacht und eine schmutzige Münze über Nacht in ein Glas Cola gelegt. Am nächsten Tag ist sie sauber gewesen. Die alternative, noch drastischere Version: Jemand hat über Nacht ein Stück Fleisch in ein Glas Cola gelegt, und am nächsten Tag war das Stück Fleisch weg . Ich habe mich schon damals gefragt, wie man so etwas glauben kann. Wenn das stimmte, hätten Hausfrauen es als Putzmittel verwendet.
    Ich liege da, esse Zwieback und trinke Cola, als Else hereinkommt.
    »Du-u?«
    »Ja?«
    »Ich wollte gerade bei der Bank mit deiner Karte Geld abheben. Habe nichts gekriegt.«
    »Kann doch nicht sein.«
    »Ich habe mir den Kontostand angeschaut. Du bist ziemlich weit im Minus.«
    »Wie weit?«
    »Ziemlich weit.«
    » WIE WEIT ?«
    Sie hält alle Finger der rechten Hand sowie zwei der linken in die Höhe.
    »Ich kümmere mich darum«, sage ich und mache die Augen zu.
    Die nächsten Stunden sind geprägt von Fieber, Diarrhöe, Cola, Knut Hamsun und der Frage, wie ich siebentausend Euro auftreibe. Einmal kommt Stanislaus ins Zimmer und wirft sich auf mich, zufälligerweise bin ich kurz zuvor endlich eingeschlafen. Wir spielen eine Weile. Ich bekomme »Bauchhunger« und esse seinen Bauch, er lacht und kreischt und schreit: »Niiicht! Nicht Bauchch-hun-ger!« Schnell merke ich, daß mir bei diesem Gehampel furchtbar schlecht wird. Er ist enttäuscht, als Else ihn mit sich hinausnimmt.
    Es hilft nichts, ich muß gegen die Übelkeit Paspertin schlucken, das ich aus Abneigung gegen die Zustände, in denen ich es nehme, französisch ausspreche. Zwanzig Tropfen, dann setze ich mich an den

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