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Das bin doch ich

Das bin doch ich

Titel: Das bin doch ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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in die Zeitung schaue, stört ihn nicht. Er fragt nach Stanislaus. Um nicht unhöflich zu sein, erkundige ich mich nach seiner kleinen Tochter. Sie ist ein halbes Jahr jünger als Stanislaus und hält sich recht oft im Salon auf. Mir gefällt das Bild, das die drei an solchen Tagen bieten: Mama schneidet jemandem die Haare, Papa sitzt in einem Stuhl und spricht quer durch den Raum laut mal mit diesem, mal mit jenem, und die Tochter beschäftigt sich mit diversen Friseurutensilien, also Lockenwicklern und dergleichen.
    »Wie machen Sie das eigentlich«, fragt er, »wer von Ihnen beiden geht arbeiten, und wer bleibt zu Hause?«
    Ich wittere Gefahr. Aber lügen kann ich nicht, ich hasse es zu lügen. Also sage ich:
    »Wir sind gewissermaßen beide zu Hause. DAS IST SEHR GUT FÜR DAS KIND …«, ich versuche ihn von seinem Thema abzulenken und lieber über die Vorzüge eines Haushalts mit ganztägig anwesenden Eltern zu sprechen, aber natürlich will er davon nichts wissen.
    »Beide zu Hause? Wieso? Was sind Sie denn von Beruf ? «
    Ich frage mich, wieso er so laut spricht, man hört es nicht nur im ganzen Raum, sondern vermutlich auch noch draußen auf der Straße. Und was sage ich jetzt? Früher habe ich auf diese Frage oft »Student!« oder ähnlichen Unsinn geantwortet, aber das geht nicht mehr. Und wie gesagt, ich will nicht lügen. Egal, es wird schon nicht so schlimm werden. Frau Sophie hat mich auch einmal gefragt, ich habe geantwortet, und es ist nicht schlimm gewesen. Wenn das auch unter anderen Umständen geschah, da spitzten nicht neben mir drei Lehrmädchen und eine Kundin die Ohren. Und so flüstere ich:
    »Ch bn Schrftstllr.«
    » WAS , SCHRIFTSTELLER SIND SIE ?«
    »Mhm.«
    »Sie schreiben Bücher?«
    »Mhm.«
    Ich kann förmlich zusehen, wie es im Hirn des Mannes zu rattern beginnt.
    »Und davon können Sie leben?« schreit er.
    »Hmja«, sage ich und denke an die sechs- oder siebentausend Euro, die ich der Bank schulde.
    »Ist das nicht schwer?« schreit er.
    Ich nicke und murmle etwas wie »sehr schwer«. Mittlerweile ist mein Kopf nahezu vollständig in der Zeitung verborgen, aber das irritiert den Mann nicht, er stellt die nächste Frage. In diesem Moment läutet die Türglocke. Frau Sophie und eine andere Dame, wohl Kundin, treten ein. Ich setze mich zurecht.
    » HAST DU GEWUSST , DASS ER SCHRIFTSTELLER IST ?« ruft er seiner Frau zu und zeigt mit ausgestrecktem Arm auf mich.
    »Ja«, sagt sie, und zu mir: »Guten Tag!«
    Ich grüße zurück. Ich mag Frau Sophie. Sie ist eine auf eine seltsame Art schöne Frau. Etwas scheint nicht zu stimmen, sie ist attraktiver, als sie sein sollte, es ist fast nicht zu erklären, was ich meine. Immer wenn ich ihr Gesicht über meinem im Spiegel sehe, bin ich irritiert, weil sie so schön ist, schöner, als sie sollte. Vielleicht sind es die Grübchen beim Lachen.
    »Wieder oben neun Millimeter und an der Seite drei?«
    »Das geht leider nicht mehr, sie sind oben schon zu schütter.«
    »Versuchen wir es mal mit oben zwölf.«
    Ich bin dankbar, daß sie sofort das Problem versteht und sogar eine Lösungsmöglichkeit parat hat. Sie kommt mit dem Elektroscherer und fängt an. Währenddessen steht ihr Mann nicht etwa auf, um sich vielleicht um die wartende Kundin zu kümmern, im Gegenteil, er bleibt einen Meter neben mir sitzen und starrt mich unablässig an.
    »Und was schreiben Sie da so?«
    »Was meinen Sie?«
    »Die einen schreiben Kinderbücher, die anderen Kriminalromane… es gibt auch Liebesgeschichten… Erotik… was machen Sie?«
    »Na ja. Ich schreibe Romane.«
    »Ja, was für Romane?«
    »Errrrrrr… das ist schwer zu sagen.«
    »Du hast das gewußt?« fragt er seine Frau wieder.
    »Ja.«
    Er versinkt in tiefes Brüten. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie er mich anstarrt.
    »Ist das nicht schwer, einen Verlag zu finden?«
    »Sehr schwer!« bestätige ich.
    »Eine Bekannte von mir hat ein Kinderbuch geschrieben, aber keinen Verlag dafür gefunden!«
    »Sehr schwer, ja.«
    »Und Sie haben einen Verlag gefunden?«
    »Edwin, wieso schreist du so?« fragt Frau Sophie. Und zu mir: »Er schreit immer so.«
    »Ich habe einen, ja.«
    »Und wie sind Sie zu dem gekommen?«
    Ich möchte aufspringen und hinauslaufen. In diesem Moment ertönt neben mir ein lautes, nervöses Piepen, tiet-tiet-tiet, tiet-tiet-tiet, tiet-tiet-tiet. Es ist das Handy der Kundin zwei Stühle weiter. Offenbar weil in meinem Kopf durch das Gespräch mit Frau Sophies Mann einiges

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