Das bin doch ich
das?
»Ein schöner Scheißdreck, dieses Wetter«, unterhält mich Christoph, während der Fotoapparat klickt. »Da können einem die Eier abfrieren. Das wäre eine Schlagzeile: Haben uns in Wien die Eier abgefroren, höhöhö.«
»Herr Glawatschnig bitte!«
Auf dem Behandlungsstuhl habe ich Zeit, ein wenig nervös zu werden. Ich bin zwar nur wegen der Brücke da, aber man weiß nie. Dr. Paulesker ist nämlich nicht »mein« Zahnarzt, der heißt Dr. Pregel und ordiniert in Graz. Ihn verehre ich, ihm vertraue ich, bei ihm bin ich seit fünfzehn Jahren, zu ihm fahre ich alle sechs Monate zur Kontrolle. Aber wegen einer zu lockeren Brücke kann man schon mal in Wien zum Zahnarzt gehen.
Es gibt Herrn Dr. Paulesker und Frau Dr. Paulesker. Die beiden teilen sich eine Praxis. Ich bin gespannt, wer mich übernimmt, ich habe keinerlei
Präferenzen angegeben. Während ich warte, kommt mir in den Sinn, das könnte ein Fehler gewesen sein. Dr. Pregel ausgenommen, sind alle meine Ärzte
Frauen, sogar mein Urologe. Ich habe zu Frauen mehr Vertrauen. Außerdem sind sie weniger brutal, was speziell beim Urologen ein Vorteil ist. 1
Herr Dr. Paulesker ist groß und hat ein gewinnendes Lächeln. Ich schildere mein Problem. Er sieht sich die Brücke an, dann schaut er in meinen Mund. Das ist der Moment, in dem ich wirklich nervös werde. Ich bin zwar sicher, daß alles in Ordnung ist, aber…
»Da ist etwas nicht in Ordnung«, sagt Dr. Paulesker. »Eine Füllung hat sich verabschiedet, und deshalb hat die Brücke weniger Halt. Kleinigkeit.«
Er greift zu den Bohrern. Ich quieke auf.
»Anästhesie!«
»Dafür? Also bitte.« Er lacht.
»Ich meine es ernst. Ich will eine örtliche Betäubung. Ist besser für die Nerven, Sie verstehen. Bin von Geburt an Hysteriker.«
Ich versuche, ihm ironisch zuzuzwinkern, aber das geht nach hinten los, er sieht mich an, als hätte ich sie nicht alle. »Na gut«, sagt er, gibt der Assistentin ein Zeichen, sein Ton wird härter, distanzierter, »aber die Kosten für die Anästhesie übernimmt die Kasse nicht!«
Er sticht so mittelprächtig, nicht gut, nicht schlecht, kein Vergleich mit dem genialen Dr. Pregel. Dr. Paulesker geht zum nächsten Behandlungsstuhl, insgesamt vier habe ich gezählt. Während das Mittel Zeit bekommt zu wirken, werde ich Ohrenzeuge einer Behandlung. Zuerst ist das Geräusch eines Bohrers zu hören, kurz darauf beginnt die Frau neben mir zu schreien. Das Bohrgeräusch verstummt, Dr. Paulesker spricht mit sanft mahnender Stimme auf sie ein. Wieder ertönt der Bohrer. Die Frau schreit.
Mir wird allmählich schwindlig. Wem bin ich da in die Hände gefallen? Ich halte mir die Ohren zu und fange an zu singen. Die Blicke der Assistentinnen stören mich nicht, sollen sie denken, was sie wollen.
Eine Frau kommt zu mir und begrüßt mich, ich muß die Hand vom Ohr nehmen. Die Frau stellt sich als Frau Dr. Paulesker vor. Ob ich zum ersten Mal da bin, ich nicke. Sie erklärt mir, ich müsse mich nicht sorgen, die kreischende Dame neben mir sei bekannt für ihre übertriebene Schmerzempfindlichkeit. Ich antworte, bei mir liegt die Sache nicht viel anders, auch ich bin überaus empfindlich. Mit ausdrucksloser Miene nickt sie mir zu, als hätte sie nicht gehört, und geht.
Ein grelles Licht wird mir ins Gesicht gehalten, ich öffne den Mund, Dr. Paulesker beginnt seine Arbeit. Es ist nicht so schlimm wie erwartet. Ich liege da, höre das Brummen, denke zur Zerstreuung an zukünftigen Lorbeer. Plötzlich setzt das Bohren aus. Frau Dr. Paulesker steht da und sagt zu ihrem Mann:
»Eine Frau am Telefon. Angeblich dringend!«
»Jetzt? Was soll das?«
»Sie weint.«
»Was?«
»Sie sagt, sie muß dich unbedingt sprechen. Es ist etwas passiert.«
»Wer ist sie denn?«
»Ihren Namen will sie nicht sagen. Sie behauptet, sie war mit dir in Paris.«
»Wie bitte?«
Ich bin ein guter Beobachter und Zuhörer. Und mir ist, als hätte Herr Dr. Paulesker vor diesem »Wie bitte?« geschluckt.
»Ich glaube, die ist verrückt. Aber vielleicht redest du mal mit ihr.«
Herr Dr. Paulesker winkt heftig ab und nimmt seine Arbeit in meinem Mund wieder auf. Keine sechzig Sekunden später steht seine Frau wieder neben uns.
»Schon wieder. Sie ruft dauernd an. Sie sagt, sie muß dich unbedingt sofort sprechen.«
»Sagt sie nicht, was sie will?« fragt er, weiterhin in meinen Mund schauend.
»Sie will es nur dir sagen. Ich soll dich an Paris erinnern. Ich habe ihr gesagt, du warst nie in Paris,
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