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Das bin doch ich

Das bin doch ich

Titel: Das bin doch ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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zwei Zähne ausgeschlagen hat, aus dem Mund reißt und ins Klo spült.
    Nun liegt meine Brücke vor mir im Zugklo, während ich mit nacktem Hintern auf dem Boden knie, Fieber habe und sich mein Magen zusammenkrampft.
    Ich fische sie heraus. Ach du je. Reinige sie, reinige den Rest von mir, der zu reinigen ist. Die Brücke wickle ich in ein Papierhandtuch, das ich in die Tasche stecke. Ohne jemanden anzusehen, hole ich meinen Kulturbeutel. Schritt für Schritt, mich an den Kopfstützen der Sitze festhaltend, wanke ich zur Toilette zurück. Dort reinige ich die Brücke gründlicher, als je eine Brücke gereinigt worden ist auf dieser Welt. Dennoch ist es nicht der glücklichste Augenblick meines Lebens, als ich sie wieder einsetze.
    Eine Weile geht alles gut. Ich sitze auf meinem Platz und lese. Ab und zu wirft mir die Frau einen mißtrauischen Blick zu. Inzwischen ist sie von mir abgerückt. Ich merke, sie würde sich gern auf einen anderen Platz setzen, hat aber offenkundig ähnliche Höflichkeitsbedenken wie ich zuvor. Bei mir liegt die Sache nun schon anders, ich würde gern weit weg von diesen Leuten sitzen, die mich anstarren, und ich hätte keine Probleme mehr damit, sie zu kränken. Aber ich würde es nicht schaffen, meine Sachen zusammenzupacken. Ich brauche alle Kraft für meine Konzentration darauf, nicht einem völligen Zusammenbruch zu erliegen. Was für einen Höllenvirus habe ich mir da eingefangen?
    Es geht wieder los. Ich schaffe es gerade noch zur Toilette. Fünf Minuten später sieht es darin schlimm aus. Ich zittere, ich stinke nach Schweiß. Als ich denke, es ist okay, und hinausgehen will, merke ich im letzten Moment, daß es keineswegs okay ist.
    Ich bleibe eine halbe Stunde. Halb und halb bekomme ich mit, wie der Zug in Mürzzuschlag hält, ich habe das Gefühl, ich werde in dieser Toilette sterben.
    Kurz vor Bruck an der Mur unternehme ich einen weiteren Versuch, zu meinem Platz zurückzukehren. Der Zug schaukelt, ich bleibe auf halbem Weg stehen, die drei Fahrgäste sehen mich betreten an, bei ihnen steht der Zugbegleiter.
    »Ist Ihnen nicht gut?« ruft er.
    Ich deute mit den Händen, mir ist nicht gut.
    »Aha!« ruft er, und ich drehe wieder um.
    In Graz nehme ich mir ein Zimmer im Hotel Ibis, gegenüber dem Bahnhof, weiter hätte ich es nicht geschafft. Ich lasse die Jalousien runter, gehe zur Toilette, kotze, lege mich ins Bett. Das Fieber steigt wieder, ich döse vor mich hin. Es geht mir ein wenig besser. Kurz darauf wird es wieder schlimmer. So schlimm, daß ich meine, es kann nicht so weitergehen. Ich mache einen Rundruf bei allen Grazer Verwandten und Freunden, ob sie einen Arzt wüßten, der um diese Zeit – es ist bereits sechs Uhr abends – noch da ist. Meine Mutter weiß einen, in Eggenberg, einem trostlosen Randbezirk. Als sie dort gewohnt hat, war er ihr Hausarzt. Nett ist er, sagt sie. Ich rufe mir ein Taxi und bitte den Chauffeur, langsam zu fahren.
    Im Wartezimmer riecht es nach Schweiß und Zigarettenrauch. Es ist schäbig, am liebsten würde ich gleich umdrehen. In den Ecken Schmutz, die Einrichtung stammt aus den fünfziger Jahren, die Stühle wackeln, und dem Tisch sieht man an, daß er nach dem Abbrechen eines Beins schief zusammengeleimt worden ist. Die Zeitschriften darauf sind eineinhalb Jahre alt und schmierig, mir wird beim Gedanken, sie anzugreifen, wieder übel.
    Ich sage der Sprechstundenhilfe, ich sei der, der vorhin angerufen habe, und bei mir sei es eine sehr akute Angelegenheit. Sie bittet mich, Platz zu nehmen. Ich betrachte die übrigen Wartenden, es sind ungefähr zwanzig. Da und dort sitzt eine verschleierte Frau. Bei einer sind nur die Augen zu sehen, sie trägt Burka. Die meisten sind aber Männer, sie husten, stöhnen, reiben sich die Hände. Ich bin der einzige, der einigermaßen europäisch aussieht. Vielleicht ist das der Grund dafür, daß ich bald drankomme. Vielleicht hat mir die Sprechstundenhilfe auch angesehen, daß es wirklich eine akute Sache ist.
    Die Praxis ist unterteilt in Kojen. In einer davon muß ich mich auf eine Liege legen und warten. Als Trennwand hängt an den Seiten ein nicht sehr sauberer Plastikvorhang. Links und rechts von mir flüstern Menschen. Der Arzt ist gerade in einer vierten Koje beschäftigt. Der Vorhang dort ist schlecht zugezogen, und ich sehe die dicken weißen Oberschenkel einer alten Frau.
    Der Arzt kommt zu mir. Ungefähr fünfundsiebzig. Ich erkläre ihm, was mir fehlt. Er beginnt an meinem Bauch

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