Das bin doch ich
mein Ohr, es hört sich genau so an, als würde jemand beten.
Werner, der hier als Kellner arbeitet, an diesem Abend jedoch privat da ist, stellt sich kurz zu mir und gibt mir einen B-52 aus. Ein seltsames Getränk, süß, stark, es wird brennend getrunken, was vor allem die Jugend in der Ecke begeistert, die sich eine Runde nach der anderen kommen läßt. Werner hat seinen Hamster im Käfig dabei, ein putziges Vieh, es ist bekleidet. Es hat winzige Hosen und Strümpfe an, sogar ein T-Shirt. Werners Tante hat das Zeug gestrickt. Ich höre wieder den Betenden, frage ihn, ob er das auch hört, er hört es nicht. Kurz darauf sagt er, er stellt sich zurück zu seinen Freunden, ob ich… Nein, ich möchte nicht mitkommen. Ich schreibe Else ein SMS , wo sie bleibt.
Über meinem nächsten White Russian denke ich über Paranoia nach. Es ist so schwer, die Grenze zu ziehen, wo gesunde Vorsicht, vernünftige Zweifel, verständliche Ängste in Paranoia übergehen. Interessante Frage.
Ich trinke und denke weiter nach. Mir fällt eine Geschichte ein, die ich vor zehn Jahren erlebt habe. Meine damalige Freundin und ich lebten auf einem einsamen Bauernhof. Sie hatte die Angewohnheit zu kiffen, was mir nicht paßte, erstens weil mich Graskonsum paranoid macht (einmal lag ich nach ein paar Joints stundenlang auf dem Boden im Glauben, eine Gehirnblutung zu haben), weswegen ich das Zeug seit ewigen Zeiten nicht anrühre, zweitens weil ich Angst vor Razzien hatte, die Bauernpolizei da draußen hatte ohnehin schon ein Auge auf uns geworfen (glaubte ich), vor allem, weil Astrid Berlinerin war (diese Logik ist mir jetzt nicht mehr eingängig).
Eines Morgens wurde ich gegen sieben von Klopfen an der Tür geweckt. Ich sprang auf und lief verschlafen in die Küche, um vom Fenster aus zu sehen, wer da war. Und wer war es – die Polizei. Zwei Angehörige einer Eliteeinheit. Sie trugen schwarze Uniform und seltsame Mützen, am Gürtel des einen baumelte eine eindrucksvolle Waffe.
Ich, ins Schlafzimmer stürmend: Astrid, schnell, alles Gras ins Klo, die Polizei ist da.
Astrid, schlagartig hellwach: WAS ?
Ich: Schnell, schnell, wo ist die Schuhschachtel mit dem Gras? Alles runterspülen!
Astrid, im Bett stehend: Die Polizei? Wo?
Ich: An der TÜR !
(Wie zum Beweis ertönt erneutes Bollern.)
Astrid schleicht hager und nackt durch die Küche. Mit steifem Rücken späht sie aus dem Fenster. Nach ein paar Sekunden sagt sie:
Du Trottel. Das ist der SCHORNSTEINFEGER !
Ich trinke und male mir aus, was mir Astrid erzählt hätte, wenn ich ihre gesamten Grasvorräte ins Klo gekippt hätte. Weitere Episoden aus meiner Vergangenheit fallen mir ein, deren Pointen meine Paranoia zugrunde liegt, und ich beginne mich zu beschimpfen. Bis ich bemerke, daß ich von den meisten Gästen an der Theke angestarrt werde. Judith lächelt mir zu, offenbar hat sie gerade mit dem Kerl hinter den Zapfhähnen über mich und mein Herumhampeln geredet. Oder ist das jetzt wieder nur Paranoia?
Ein altes Leiden von mir, wenn ich zuviel getrunken habe, ist die plötzliche Anwandlung, überall Homosexuelle sowie Swingerclubbesucher zu sehen (der Prinz behauptet, das sei reine Projektion, ich sei eigentlich bisexuell und swingerclubaffin). Gerade habe ich damit begonnen, gerade enttarne ich einen feisten Mann an der Bar als schwul und ein überdreht wirkendes Paar in der Ecke als geile Schweinchen, da kommt endlich Else herein.
»Wie siehst du denn aus?« ruft sie. »Was hast du denn aufgeführt?«
»Sag mir bitte, hörst du das auch?«
»Was?«
»Da betet doch jemand!«
Else will mich sofort nach Hause schleppen. Ich muß ihr versprechen, nur noch Kaffee zu trinken. Ich willige ein, sie bleibt. Nach einer Weile bin ich in der Lage, einigermaßen vernünftige Gespräche zu führen.
Wir reden über meine Flugangst. Else hat ja auch Flugangst, aber sie überwindet sie, ich hingegen bin seit 1983 nicht geflogen, da war ich elf. Sie rät mir dringend, ein Seminar zu besuchen, denn sie will endlich mit mir Städtereisen unternehmen und nicht immer nur Kurzurlaub in irgendeinem Thermenhotel in der Oststeiermark machen.
»Du meinst, Fliegen ist sicher?«
Else sieht mich scharf an, es ist der Ich-sag-dir-jetzt-was-Blick: »Ein Linienmaschinenpilot, weißt du, was der für einen normalen Piloten ist? Ein Au-to-bus-fahrer!«
Mir geht es allmählich besser. Else geht es auch gut, weil sie zu Hause mit Ursel auch eine Flasche getrunken hat, und bald geht es uns beiden so
Weitere Kostenlose Bücher