Das bisschen Kuchen: (K)ein Diät-Roman (German Edition)
Die hellgrün gestrichenen Wände, die hübschen Blumenaquarelle und die einladende beigefarbene Sesselgruppe am Fenster machten dem angepriesenen Wellnessgroove alle Ehre – im Gegensatz zu Doktor Mannheimer, dessen Blick sich dolchartig in Nikis Bademantel bohrte.
Und schon kam der Satz, vor dem sie sich am meisten gefürchtet hatte: »Dann legen Sie mal ab, Frau Michels.«
Seit vielen Jahren hatte sich Niki niemandem mehr nackt oder auch nur im Badeanzug gezeigt. Wolfgang kannte seineFrau nur in zeltartigen Flanellnachthemden, die sie bis oben zuknöpfte. Am Strand ließ sie sich gar nicht mehr blicken, einen Arzt hatte sie ebenfalls seit Jahren nicht mehr aufgesucht. Nur ihr Spiegelbild und sie wussten, dass sie mittlerweile einer riesenhaft vergrößerten Qualle glich.
Mit hängenden Schultern löste sie den Gürtel des Bademantels. Das letzte bisschen Restenergie ging dafür drauf, den Bauch einzuziehen. Dann wagte sie einen Blick in Doktor Mannheimers Gesicht.
Mit verspannter Miene scannte er jeden Millimeter ihres sträflich vernachlässigten Körpers.
»Hmmmm.« Das war alles.
Niki räusperte sich. »Wie schlimm ist es?«
Statt einer Antwort machte sich der Arzt Notizen. Mit zackigen Bewegungen glitt der Kugelschreiber übers Papier. Schrieb er gerade ihr Todesurteil?
»Bitte legen Sie sich auf die Liege da drüben.«
Die Liege war viel zu schmal. Niki hatte so gerade eben darauf Platz. Entsetzt sah sie, wie sich Doktor Mannheimer die Hände in einem kleinen Waschbecken wusch. Was hatte er vor? Wollte er mit bloßen Händen eine Notoperation durchführen?
Ohne weitere Vorwarnung kam er auf Niki zu und drückte grob seine Finger in ihren Bauch. »Ich beginne nun mit der manuellen Untersuchung«, verkündete er überflüssigerweise.
Immer heftiger wurden seine knetenden Bewegungen, als wolle er einen zähen Hefeteig in eine Skulptur verwandeln.Es war ziemlich unangenehm. Niki litt stumm. Sie wollte nur noch, dass es wieder aufhörte.
»Erweiterter Rippenbogen, vergrößerter Magen, Unregelmäßigkeiten der Darmausstülpungen«, murmelte Doktor Mannheimer. »Wissen Sie eigentlich, was Sie Ihrem Körper zumuten?«
»Nö. Wieso?«
Niki fand ihn bei weitem zu unfreundlich, wenn man bedachte, dass Klienten wie sie seine zweifellos grandiose Villa in Bestlage sowie mindestens zwei Ferienhäuser und drei Luxuskarossen finanzierten.
»Wenn Sie so weitermachen, haben Sie in fünf Jahren Diabetes Typ zwei, Arthrose, Gicht und chronische Verstopfung.«
»Ach, nee. Noch mehr gute Neuigkeiten?«
Er legte den Kopf schief. »Falls Sie fortschreitende Übersäuerung, Atemnot und Herz-Kreislauf-Probleme als gute Neuigkeiten bezeichnen …«
Toll, dachte Niki. Am besten erschieße ich mich gleich.
Endlich ließ er von ihr ab. »Bitte steigen Sie auf die Waage. Danach können Sie sich wieder anziehen, Frau Michels.«
Die Waage zeigte 97,5 Kilo an, was Niki in einen Taumel der Begeisterung versetzte. Sensationelle fünfhundert Gramm weniger als am Tag zuvor! Beschwingt zog sie ihren Bademantel wieder an. Alles wird gut, dachte sie, Wolfgang wird mich nicht wiedererkennen. Und das bedeutete Sex mit einer fremden Frau. Welcher Mann träumte nicht davon?
Der Arzt überreichte ihr den Zettel, den er mit seinerunleserlichen Handschrift bedeckt hatte. »Sie absolvieren das übliche Programm mit Heuwickeln, Kneippanwendungen, Entgiftungsbädern und Massagen. Zusätzlich Shiatsu, Personal Training und Stretching. Ihren persönlichen Ernährungsplan wird Inge-Gundula Ihnen geben.«
Beim Wort Shiatsu klingelte etwas bei Niki. »Äh, könnten wir dieses Dings, dieses Schatzi weglassen? Ich steh nicht so auf asiatische Akrobatik, wissen Sie.«
Der Mund von Doktor Mannheimer war nur noch ein Strich. »Sie befinden sich in einem äußerst bedenklichen Zustand. Und das wird sich nur ändern, wenn Sie mit aller Konsequenz« – er verschränkte die Arme vor der Brust –, »ich betone: mit aller Konsequenz den Behandlungsplan einhalten. In zwei Tagen sehen wir uns wieder. Nicht zuletzt die Waage wird erweisen, ob Sie die Hoheit über Ihren Körper zurückgewinnen können.«
Mir würde schon reichen, wenn ich die Hoheit über Wolfgangs Körper zurückgewinnen könnte, dachte Niki. Dann schlüpfte sie in ihre Schlappen und verließ grußlos ihren Peiniger.
Kaum war Niki in ihrem Zimmer angelangt, als ein Dirndlmädchen klopfte und ihr ein heißes, streng riechendes Kissen auf die Lebergegend legte. Es war mit
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