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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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dort die … es ist nicht bloß Recherche – die Organisationen, die erzählen einem immer mehr und mehr und mehr von solchem Scheiß – Todesscheiß – und meine letzte Demo war für Flüchtlinge, Asylbewerber. Drei von denen hatten sich umgebracht – meine Regierung, deine Regierung hatte sie in einen Wohnblock gesteckt, wo niemand leben konnte – niemand – nicht mal, wenn er nicht traumatisiert und von Geistern heimgesucht war – diese Wohnungen waren geradezu eine Einladung, sich umzubringen – wenn man nach oben schaute: kaputte Balkone, verrottetes Holz, beschissener Anstrich, der ganze Ort sagt dir: Wieso verpisst du dich nicht einfach und stirbst? Da war so ein Typ, so ein ganz normaler Typ, kommt von da, hat lauter Verwandte – Cousins, Kumpel – die gesprungen sind – die waren gar keine Flüchtlinge, die lebten bloß da – was auch eine Form von Flüchtling ist, stimmt’s? … und der Typ erzählt mir das alles, und er will gar nichts von mir, er braucht mich nicht – ich höre bloß zu – und es ist klar, mehr als klar, dass jeder bei klarem Verstand springen würde. Man würde schon springen, um nicht in den normalen Wohnblöcken wohnen zu müssen – und im Block für die Flüchtlinge … sie dürfen keine Waschmaschinen in ihren Wohnungen haben – es gibt vier verschissene Waschmaschinen in so einer Mini-Waschküche – das ist alles für weiß Gott wie viele Leute im ganzen Wohnblock, und die meiste Zeit funktionieren nicht mal die – und keine Schlösser, die der Hausverwalter nicht öffnen kann – der muss jeden rauslassen und wieder reinlassen – das ist kein Hausverwalter, das ist ein Gefängniswärter – mein Gott, wir haben Gefängnisse mit Kindern drin – Flüchtlingsgefängnisse – aber was haben sie getan? Sie sind die Schwächsten der Schwachen, darum stecken wir sie in den Knast – das ist alles … nur weil wir einander nicht sehen, es nicht mal versuchen … Da ist also eine Familie in diesen Hochhäusern, die haben sich umgebracht – auf einem Fleckchen Gras stehen ein paar Blumen, wo sie gelandet sind – verdeckt wohl die Aufprallspuren, nehme ich an – billige Blumen – und diese Leute, bewegte Menschen, tauchen auf – der Ruf ergeht, und sie kommen – ich auch – und wir marschieren mit einigen der Leute von dort, der Asylbewerber aus den Wohnungen, und irgendwann sind wir ziemlich viele, wir sind unterwegs, wir füllen die Straße und kommen in die Stadt, aus der Gegend der Weggeworfenen dahin, wo die richtigen Läden und die guten Gebäude sind, die einen nicht umzubringen versuchen – wo Respekt ist – und diese Flüchtlinge, diese Menschen aus Nirgendwo, aus der Hölle, aus Umständen, deren Erinnerung sie nicht ertragen, die gehen mitten auf der Straße entlang und halten den Verkehr auf und werden von der Polizei bewacht – eskortiert und umsorgt von der Polizei – die sich sogar anständig benimmt – und die Flüchtlinge, die dürfen kein Geld verdienen, dürfen nicht wählen, der Grenzschutz kann mit ihnen machen, was er will, jederzeit, niemanden scheint es zu kümmern, aber heute helfen die Polizisten ihnen, eine Parade zu veranstalten – und Wildfremde sind auch dabei und beweisen, dass sich jemand interessiert – nicht bloß Politische: Ehepaare und Jugendliche und Studenten und wer auch immer – es ist nicht besonders hilfreich, eigentlich nicht, es heißt bloß, ein bisschen von seinem Samstagmorgen zu opfern, um der Sache willen, nicht um etwas zu erreichen, jedenfalls nicht viel, könnte man sagen – aber die Asylbewerber sind so verdammt glücklich darüber, was passiert – über das fast nichts, was passiert – dass manche von ihnen tanzen , manche singen – weil es so scheint, als würden sie wieder existieren, als wären sie wieder real und in der Welt, könnten tatsächlich ein Stückchen davon haben, und ich bin absolut sicher , ich könnte ihnen helfen, ich weiß, was ich tun könnte, ihnen zu helfen, und das würde sie nichts kosten, ich hätte der Familie helfen können, sie hätten sich nicht zusammenbinden und über den Rand ihres Lebens treten müssen. Sie hatten nichts, Beth, und nichts ist der Code für nichts – für einen Scheiß – niemandem sollte nichts weiter bleiben.«
    Der Klang dieser Worte scheint ihn zu ängstigen, er will so tun, als hätte er nicht plötzlich an sich gedacht, an kleine Probleme – sie sieht ihn rot werden, an die größten Möglichkeiten denken, die ihm offenstehen. »Ich bin

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