Das blaue Buch - Roman
dagegengepresst, dass sie den Besucher mit Sicherheit verstören müsste; doch er bleibt ganz ruhig und entschlossen, überlegt wieder und klopft dann erneut, nicht weit von ihrem Daumen. »Oh, Beth.« Eine Mädchenstimme. Jung und glücklich.
Und wenn ihr Vater sie als Vogel besuchen, zurückkehren und seine Frau erfreuen, ihr Liebe schenken wollte, dann wäre die Elster sicher der Vogel seiner Wahl gewesen, und hier ist die Elster, ihre Elster, in einem schönen schwarzen Anzug mit einem Hauch von Pantomimen, betrachtet sie launig, vertraut wie ein Verwandter.
Aber das ist er nicht. Es ist ein Vogel. Es ist eine Geschichte, die ihre Mutter erzählen wird, die ihr helfen wird, die etwas Besonderes sein wird, die ihr niemand wegnehmen wird.
»Oh, Beth.« Und das breite Aufflammen der Flügel, als der Vogel springt, endlich auffliegt, den Verlust und die Tränen ihrer Mutter erneuert. Morgen wird sie sagen, dass sie gut geschlafen und von ihrem Mann geträumt hat, von seinem Lächeln, und vom Fliegen.
Aber der Vogel war nicht er. Beth kann es nicht glauben. Der Vogel war bloß ein Vogel.
Bei Arthur ist sie die einzige, die keinen Trost bekommt.
»ARTHUR.«
Beth wacht vor ihm in der Suite auf.
»Art.«
Panik packt sie, falls sie zu lange geschlafen haben sollte, und weil sie überhaupt geschlafen hat – die Fenster zeigen die fließende Schiffsbeleuchtung auf dem dämmrigen Balkon, Regenwasser glitzert auf Tischen und Stühlen für die eleganten Schönwettergäste. Dahinter schwindelndes Schwarz – es ist richtig Nacht.
»Scheiße.« Sie hat unbequem gelegen, haben sie beide.
Meine Sachen werden aussehen, als sei ich damit ins Bett gegangen – bin ich ja auch.
»Scheiße.«
»Hm?« Arthur rührt sich, nimmt kleine Schlucke Luft und verändert seine Lage. »Du …«
Es schmerzt, als sie sich zu bewegen versucht. »Ich bin hier.« Sie muss eingeschlafen und reglos liegen geblieben sein. Einer seiner Knöpfe hat eine Druckstelle an ihrem Auge hinterlassen, die wehtut, als sie den Kopf hebt.
Er schluckt. »Du bist?« Die Stimme sitzt in seiner Brust und bewegt sich wie ein tiefes, rotes, träumendes Ding. »Du bist …«
Arthurs Hand tappt ihr einmal vage aufs Haar, als sie seine Schultern und Hüften dreht und sich zurückzieht, bis sie ohne ihn liegt, nicht mehr umarmt wird. Er knipst die Lampe an – das kleine Strahlen brennt in ihren Augen – und schaut auf seine Uhr. »Es ist nach sieben.« Reibt sich übers Gesicht. »Damit meine ich, es ist nach sieben Uhr. Keine andere Bedeutung. Ich meine weiter nichts … Entschuldige, du kommst wahrscheinlich zu spät dahin, wo du eigentlich sein willst … es tut mir leid …« Er richtet sich auf und schließt die Augen. »Tut mir leid, das ist das Letzte, das Schlimmste … das Schlimmste, was ich hätte tun können …« Er reibt sich zum Trost den Nacken, während er sich aufregt. »Mit dir aufwachen … ich glaube, wenn du gehst, solltest du nicht wiederkommen. Ich glaube, wir würden bloß …« Sein gutes Hemd zerknittert. »Ich kann nicht.«
»Ist schon in Ordnung.«
Es ist gar nicht in Ordnung – wir sind auf einem lachhaften Schiff auf einem blinden Meer, und überall sonst sterben Menschen – freiwillig, unfreiwillig, gewaltsam, unnötig, schlimm, gut, am Ende ihrer natürlichen Lebensspanne oder viel früher – die Welt dreht sich davon, wird zerstört, und ich bin schuld und wir sind schuld und alle noch Lebenden müssen schuld sein, aber das will ich heute Abend nicht hören – nicht heute Abend – und ich will nichts davon wissen, dass du jetzt und hier Schluss machst, weil du Panik kriegst, dass später Schluss sein könnte, wenn du schon zu tief drinsteckst.
Arthur sitzt, die Fäuste gegen das Bett gestemmt, reibt sich mit den Daumen über die Fingerknöchel. Er hält die Augen geschlossen.
Du steckst schon zu tief drin.
Ich weiß es, weil du neben mir steckst.
Beth kniet sich aufs Bett, und es gibt nach, nach, nach.
Aber ich werde nicht diskutieren – ich spreche mit deiner Haut.
»Arthur, ich werde dir die Schuhe ausziehen.« Er antwortet nicht, also löst sie seine Schnürsenkel, zieht am Gewicht des steifen Leders, bis es nach, nach, nachgibt, bis er sich den Schuh stehlen lässt.
Und noch einmal.
Zarte und warme Füße und rote Socken, seine Freizeitsocken – »Und ich werde dir die Socken ausziehen.« Er macht ein kleines Geräusch, als sie das tut, wie ein junges Tier. »Ich lege sie hier drüben hin, da sind sie aus
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