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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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bloß … ich bin nicht der schlimmste Spezialist für den Tod – ich bringe ja nicht persönlich und direkt jemanden zu Tode, ich verdiene mein Geld nicht mit Töten oder damit, dass ich andere Leute sterben lasse, aber ich laufe auch nicht im Glauben durchs Leben, dass meine alltäglichen Entscheidungen nicht andere Menschen umbringen, die ich nie kennenlernen werde, und ich bemühe mich um verantwortungsvolles Verhalten, und ich erwarte – ich bestehe darauf, zu erwarten – dass andere Menschen das auch tun. Vor dreißig Jahren – das kriege ich nicht aus dem Kopf – vor dreißig Jahren – was ist noch 30? 30 war Sport, oder? Etwas mit Sport … unpassend … Vor dreißig Jahren haben die Vereinten Nationen versprochen, dass jedes Mitgliedsland 0,7 Prozent – was der mathematische Ausdruck für einen Scheiß ist – des Bruttosozialprodukts abgeben würde, um das Sterben der Armen zu verhindern, damit Mütter und Kinder und andere normale Mitglieder unserer Spezies nicht einfach ohne guten Grund aufhörten zu existieren – nicht mehr von der Natur ihres Lebens hingerichtet würden … im Jahr 2009 – das ist jetzt ganz private Recherche, nur für mich, für niemanden sonst – kein bisschen praktisch, nur weil ich Menschen mag und nicht will, dass sie mich brauchen, und man braucht mich nur, wenn die Toten auf die falsche Weise gestorben sind – und weil ich also recherchiere, weiß ich, dass im Jahr 2009 genau fünf Länder tatsächlich 0,7 Prozent abgegeben haben. Fünf – von allen Mitgliedsländern der Vereinten Nationen – fünf von 192. Schweden, Dänemark – gar nicht mal so große Länder mit riesigen Mitteln, bloß gnädige und zivilisierte Länder. Fünf von 192 – dieser Code besagt, dass fast alle Arschlöcher sind. Oder dass die Menschen, die fast alle repräsentieren, Arschlöcher sind. Entschuldige den Ausdruck – ist eigentlich nicht fair gegenüber dem Körperteil …«
    Er lässt seinen Atem einen Augenblick in der Brust kämpfen. »Du weißt, was ich meine. Die angeblich Großen und Guten und Mächtigen leisten uns keine guten Dienste. Aber ich kann es sagen, Beth, ich kann es ihnen sagen. Wegen meines Berufs kann ich es den Menschen – manchen der Menschen sagen, die ihre Überschüsse sonst für mittelalterliche Wandteppiche oder Jade oder deutsche Ritterrüstungen ausgeben würden – die sonst überteuerten Mist zweifelhafter Herkunft oder gar keiner Herkunft oder Fälschungen anhäufen würden – den Leuten, die ihren Namen in jedes Ding mit Goldplatte graviert haben wollen, weil das Klasse hat – denen kann ich sagen: ›Sammelt Leben. Warum nicht?‹ – Ich würde ja sagen: Rettet Leben – aber sammeln verstehen sie leichter. Bei einer Sammlung können sie eine laufende Liste führen. Sie können in Tropenuniform aus dem Learjet steigen und Kinder treffen, die sich für immer an ihren Namen erinnern werden, ganz ohne Goldplättchen. Die Kinder werden sich erinnern können, und sie werden ein Leben haben, weil die Leute mit mehr Geld als Verstand – und dazu gehöre auch ich, mich eingeschlossen – etwas unternommen haben, um zu helfen – mehr getan haben, als sie für möglich hielten – oder einfach nur aufgehört haben, etwas Schädliches zu tun. Ich kann Menschen dazu bringen, das Glück anderer Menschen zu sammeln, weil anscheinend ihre Toten zurückkehren und so etwas vorschlagen, verlangen, weil das Jenseits gnädig und zivilisiert sein kann, wenn wir es so möchten. Es kann so sein, wie dieses Leben nicht ist. Und sehr wahrscheinlich nie sein wird. Die Toten – die ich zurückzuholen behaupte – ich kann sie dazu bringen, jedem die Wahrheit zu erzählen, der sie hören soll: dass es einen unerschöpflichen Vorrat an Unheil gibt, der wiedergutzumachen ist, mehr und mehr und mehr Schmerz, und ich bin müde und müde und müde, aber ich bin … ich versuche, Dinge zu tun, ich …«
    Und Arthur dreht sich, um sie zu finden, und sie lässt zu, dass er sich an sie klammert, als würden sie fallen, als wäre er wütend und ängstlich, und das Bett gibt nach und gibt nach und gibt nach, und er ist ihr Junge, ihr weicher, wunder Junge, der in die Stille aufgenommen wird.
    Ist ja gut.
    Ist ja gut, und du kannst schlafen, und alles, was du gesagt hast, kann wahr sein, und alles, was du getan hast, kann akzeptabel, verzeihlich, normal sein, und wir können zusammen sein.
    Ich kann das glauben.
    Wenn ich es glaube, dann ist es keine Täuschung.

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