Das blaue Buch - Roman
gestern. Wie sie ihre gemeinsame Erfahrung verkündet, klingt so verzweifelt zuversichtlich und unwiderlegbar, dass er ihr gestattet, sich zu ihm zu setzen. Sie schütteln sich die Hand, und dies wird sicher nicht der Anfang einer Romanze oder auch nur einer Bekanntschaft, aber sie werden nicht allein essen. Sie werden demonstrieren, dass sie interessant und unterhaltsam sein können, wenn sie wollen. Sie können zumindest so wundervoll sein wie Sand.
Beth lässt den Blick über die Tische schweifen – erkennt so viele Gesichter, die sie hasten sehen haben, oder weinen, oder elend vom Kaffee, oder draußen im stürmischen Licht, ins Leere starrend – auf das Scharnier, an dem die Welt schwingt – Luft in Wasser, Wasser in Luft.
Paar mit Riesenohrringen, verfolgen schon die ganze Woche ihr Piratenthema – überraschend tätowierte Frau aus Florida, die ihre Kinder vermisst – Ehemann, Soldat, dumm, und Ehefrau, lädiert, stumm – Gruppe Schwule aus Englands Südwesten: Nur einer scherzt, wenn er den philippinischen Kellnern schöne Augen macht – und Bunny.
»Wir sollten da rübergehen …« Beth ist so erleichtert, als sie Bunny sieht, dass sie schon befürchtet, ihre Hoffnung habe sie halluzinieren lassen.
Derek versucht langsamer zu werden und auf eine Reihe von Plätzen zuzusteuern, auf denen er sie für sich allein hätte, aber sie tut so, als würde sie es nicht bemerken, und marschiert weiter. Also wird er direkter. »Müssen wir uns zu fremden Leuten setzen?«
»Das sind keine fremden Leute. Sie sind … ah.« Beth winkt.
Denn Bunny winkt so gern und sollte jeden Tag irgendwelchen Menschen zurückwinken können – Francis und Freunden und Besuchern, jeden Tag.
Bunny winkt zurück.
»Das ist Bunny.« Beth führt Derek fast am Zügel vor. »Und das ist mein … das ist Derek.«
»Ach, Sie armer Junge.«
Bunny nimmt Dereks Arm und setzt ihn neben sich, während sie Beth Anweisungen gibt. »Ich werde überprüfen, wie es um die Genesung Ihres Freundes steht, und ihm die Höhepunkte des Schiffsklatsches berichten, den er verpasst hat.« Sie schaut Derek ausdruckslos an und gluckst dann fröhlich: »Keine Sorgen, ich erzähle nur das Schlüpfrige. Und Beth geht los und holt Ihnen ein paar appetitliche Happen. Aber Sie müssen es langsam angehen lassen.« Als Kranke geht sie ganz geschäftsmäßig mit Genesungen und Rückfällen um. »Und Beth wird außerdem so freundlich sein, meinen verschwundenen Gatten ausfindig zu machen, dann kann er ihr helfen, die Sachen herzubringen.
Bunny trägt einen Hosenanzug – lila mit Stehkragen, eng und sinnlich anliegend, was Francis gefallen wird, und wieder ihren Lieblingsschmuck. »Ich habe keinen Schimmer, wo er steckt – ist schon Gewohnheit bei ihm, einfach davonzuwandern. Wassermelone. Er ist schon den ganzen Tag auf der Jagd nach Wassermelone. Hätte ich sie bloß nie erwähnt. Inzwischen besteht er wahrscheinlich darauf, dass sie ein Boot zu Wasser lassen, um welche zu besorgen.« Derek reagiert nicht auf sie, also wendet sie sich Beth zu. »Was werden wir anfangen, wenn das alles hier vorbei ist?« Das Gefühl einer Last kehrt zurück, als sie das sagt, also vervollständigt sie: »Wenn wir keine Bediensteten mehr haben … wir Armen.«
Beth küsst sie – mit schmutzigem Mund – gibt ihr ein Küsschen aufs Ohr – mit dem Mund einer Geliebten, und Liebe versteht Bunny – und versichert, weil es so erwartet wird und spielerisch klingen kann: »Ihnen wird doch Francis jederzeit zu Diensten sein. Ich habe ehrlich gesagt noch niemanden erlebt, der so gern zu Diensten ist.«
Bunny lässt sich bereitwillig von dem Gedanken ablenken.
Wir sind alle Meister der Ablenkung.
Meisterinnen. Der Abschweifung. Der Ausschweifung.
Zweideutigkeiten sind jetzt meine geringste Sorge.
Dann hat Bunny Freude an Koketterie: »Ich glaube allerdings nicht, dass wir ihn als Bediensteten bezeichnen können. Gewisse Dinge tut man nicht vor den Angestellten.« Ihr Lächeln erinnert an Francis, wie er lächeln würde, wenn er sie hören könnte. »Oder gar mit ihnen.«
Derek schmollt inzwischen und will eindeutig nicht über Alterssex nachdenken oder Bunny zuhören, doch Beth klopft ihm auf die Schulter und geht Francis suchen – denn ich würde mein Abendessen gern mit einem Gentleman einnehmen.
»Ach, ich bin keiner, wissen Sie.« Francis ist still erschöpft, als sie ihn findet, das Tablett mit Obst beladen – vor allem Wassermelone – und mit Käse, die Taschen wie
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