Das blaue Buch - Roman
heißt, ich muss es ihm sagen.
Das habe ich schon gesagt.
Ich muss wirklich.
Er blinzelt unterwürfig. »Und wir haben nur noch zwei Nächte an Bord …«, und lässt ein sanftes und echtes Lächeln zurückkehren, das sie die ganze Woche noch nicht gesehen hat. »War dir sehr langweilig? An Bord?«
»Nein.« Und wenn sie wollte, könnte ihr die Täuschung gefallen. »Nicht gelangweilt.«
»Aber es tut mir leid.« Derek manövriert sich quer übers Bett, ein bisschen damit beschäftigt, seine Reaktionen zu testen und sie gesund und vielversprechend zu finden. Sein Bademantel öffnet sich dabei wenig verführerisch. Er bringt sich in greifbare Nähe.
Und ich wünschte, er würde nicht greifen.
Doch er bleibt sanft, nimmt nur ihr Ohr zwischen Zeigefinger und Daumen, streichelt ihre Wange, und sie muss ihn lassen, denn würde sie nicht, wäre das ungewöhnlich, und da ist er, unleugbar Derek – er sieht genauso aus und benimmt sich genauso wie zu anderen Zeiten, als er liebenswert und gewinnend war. Aber heute ist er es nicht.
Das ist alles weg.
Sie wird um seinetwillen verlegen.
Aber ich möchte auch lachen – so als würde ich auf unserer Beerdigung kichern.
Was bin ich, dass ich so fühle?
Er versucht sich zu versöhnen. »Es tut mir sehr leid, Beth. Ich war … Ich war nicht gerade die beste Gesellschaft, und das war nicht meine Absicht, aber … Ich habe mich noch nie so elend gefühlt …« Das tun Menschen, wenn es zu spät ist.
»Das ist okay.« Er braucht eine Dusche. Mundspülung. Um von mir wegzukommen. »Das verstehe ich.« Und mir tut es auch leid, aber das zu sagen würde in die Irre führen. »Du musst doch hungrig sein. Wir gehen raus und essen was.«
»Müssen wir wirklich die Kabine verlassen …«, und er schenkt ihr sein Vorspiel-Lächeln, das keins mehr ist und nie wieder sein wird.
»Ja, ich glaube, das sollten wir.« Sie steht auf, weg von seinen Händen – kein Feingefühl: früher dachte ich, das sei ehrlich, und vielleicht ist es das auch, aber ich mag es trotzdem nicht: er hat schlechte Hände – streift beim Entfernen leicht über seinen Unterarm, um nicht beleidigend zu wirken. »Frische Luft …« Sie hält sich mit dem Rücken zu ihm, betrachtet erneut den Fernseher, anscheinend fasziniert von den Einzelheiten der Windrichtung, der Meerestemperatur, des Kurses. »Dann kann Mila hier rein und mal gründlich sauber machen, während wir weg sind – darauf wartet sie schon ewig – die Frau ist zum Putzen geboren – ein hygienisches Naturtalent.«
»Scheiß auf Mila.« Und vielleicht ist das sein wahres Ich: ein kleinlicher Mann mit säuerlichem Tonfall, den sie schließlich fürchten würde, wenn sie erst verheiratet wären und er seine Fassade abgelegt hätte.
Das ist ein tröstlicher Gedanke – dass er mich betrogen hat, so getan, als ob, und sich dann als jemand anders erwiesen.
Die Mühe hätte er sich nicht machen müssen. Es war schon jemand anders da.
»Mila hat sich große Sorgen um dich gemacht, und sie ist eine nette Frau.« Sie bleibt fröhlich und bestimmt. »Geh duschen, und dann gehen wir ein bisschen schlendern, ein bisschen was essen. Es gibt da ein sehr nettes Paar, mit dem wir uns vielleicht zusammensetzen können – die haben mir Gesellschaft geleistet.«
Ich glaube, ich zittere.
Aber Derek lässt sich schlaff in seine aufgehäuften Kissen fallen, schaut sie aus zusammengekniffenen Augen an und ist kein bisschen charmant. »Du willst wirklich ausgehen?«
»Ja, das will ich – genau das will ich.«
Nein, will ich nicht.
Derek seufzt und stapft ins Bad.
Am Büfett ist es nicht sehr voll: Der Abendandrang ist schon vorbei. Paare sitzen über Eck, in schattigen Nischen – oder manche Passagiere auch in fröhlichen Vierergruppen, haben Teams gebildet, Muster etabliert, die sie an diesem vorletzten Abend bewahren wollen. Sie sind heikel mit Spitznamen und Scherzen, mit Anspielungen auf geteilte Erlebnisse und amüsante Beschwerden, ihre winzigkleine gemeinsame Geschichte. Sie haben ganz ehrlich vor, in Kontakt zu bleiben und sich wiederzusehen, sie gehen mit diesem zusätzlichen Trost an Land: Es ist doch auf Kreuzfahrten immer wundervoll, mit wem man so ins Gespräch kommt.
Eine Amerikanerin im verzagten Pullover setzt sich neben einen Mann aus Newcastle. Er verspricht nicht viel.
»Es ist doch immer wundervoll, mit wem man so ins Gespräch kommt.« Sie kann das sagen, weil sie sich an den Nordengländer erinnert, vom Vortrag über den Sand
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