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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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verdrehe, die sehr freundlich und sehr dankbar sind, während ich mir meine Annehmlichkeiten, meine Aktientipps und meine kleinen Geschenke verdiene – da sind dann auch die Kobralilien: schauen zu, wachsen, bereiten sich für den Herbst. Und dann reise ich immer hin, ohne Termine zu machen. Ich berate niemanden. Ich gehe nur los und pflücke die Beeren, und die nehme ich dann mit in mein Hotel – ins Carlyle – wo man gut für mich sorgt, an mich und meine Vorlieben gewöhnt ist, und die Burschen an den Türen und in den Fahrstühlen schütteln mir die Hand und nennen mich Mr Arthur, weil das zugleich freundlich und respektvoll ist – Vorname, aber auch Mister – und dann gehe ich in meine Suite, die sehr schöne Ausblicke bietet, hinunter auf die Madison Avenue und die 76th Street, und dann wasche ich die Beeren, weil sie draußen waren und man nicht vorsichtig genug sein kann, und dann setze ich mich aufs Sofa und nehme eine und kaue sie. Und das tut weh. Wenn man die Beeren kaut, dann tun sie einem weh. Wenn man sie berührt, beißt es schon in den Fingern. Sie enthalten Oxalsäure, und im Mund brennen sie wie Teufel.«
    »Art.« Ein trostloses Gefühl im Magen, und dann Wut auf ihn, Empörung. »Arthur – «
    »Ssschhh.«
    »Arthur.«
    Aber: »Ssschhh.« Und er schüttelt den Kopf und ist ganz friedlich und sachlich. »Sie brennen. Gewisse indigene Völker haben damit ihre Feinde vergiftet: Ihnen behandeltes Fleisch gegeben, denn es wirkt auch giftig. Oder manche Völker haben es auch als Prüfung, als Feuerprobe verabreicht. Man hat mir erzählt, dass … Ich kaue also eine Beere, aber ich esse sie nicht – das darf man nicht: Die Säure verursacht Entzündungen, und mit zugeschwollener Kehle könnte man ersticken, das vermeide ich also, weil ich nicht sterben will. Ich möchte nur Schmerzen haben. Das heißt, ich will eigentlich nicht, aber ich sollte. Ich bestrafe meinen Mund. Ich sage schlimme Sachen, also bestrafe ich meinen Mund.«
    Beth legt ihm zwei Finger auf die Lippen und kann sich nicht vorstellen, will sich nicht vorstellen, wie er gelebt hat, wie er seine Tage geordnet und zerstört hat. »Tu das nicht wieder.« Sein weicher Mund, die Weichheit seines Mundes.
    »Es hilft.« Worte an ihren Fingern, zwischen ihren Fingern. »Danach wasche ich mir den Mund mit Milch aus.«
    »Tu das nicht wieder. Arthur? Du musst mir versprechen, dass du das nie wieder tust.«
    Er dreht sich weg, macht sich frei, um zu sprechen. »Das … Ja … Ich kann nicht. Ich kann es nicht wieder tun. Wenn du es nicht willst, dann kann ich es nicht, Beth. Wenn du es nicht willst, kann ich nichts davon wieder tun. Nichts soll mehr im Weg stehen – es darf nur dich und … Ich gebe es auf, Beth. Ich gehe in den Ruhestand. Frührente.«
    »Damit wärst du nicht glücklich. Du würdest es vermissen. Wenn du noch arbeiten würdest … Ich könnte damit klarkommen. Ich könnte …« Ein Missbrauch ihres Mundes.
    »Du würdest nicht damit klarkommen – du könntest es vielleicht tolerieren, aber irgendwann würde auch das Dulden dich fertigmachen, und du würdest mich verlassen, und ich kann nicht … ich könnte nicht …«
    Seine Knöchel gleiten tiefer, und sie wünscht sie noch tiefer, denn sonst hört sie nur, wie er sein Leben für sie niederreißt, wie er ihr alles anbietet, und wie kann sie das erwidern, und dieser Morgen ist so schön für sie beide, und es sollte so sein, dass sie diese Schönheit haben können, dass Arthur hier und glücklich sein kann, sein darf, dass sie hier und glücklich sein kann, sein darf, mit Arthur, dass sie unkompliziert sein können.
    Das ist doch keine gesetzwidrige Möglichkeit.
    Beth verschiebt ihre Hüfte ein winziges Stück, und er reagiert.
    Wunderschön.
    Beth spürt, wie sein Denken abgleitet, bis sein Daumen hin und her über ihren Schenkelansatz fährt, während er seine Finger in ihr Haar tastet, reibt, drückt – einmal, zweimal. Doch dann rückt er ab und hält nur ihre Taille, schmiegt Worte neben ihr Ohr – Hitze steckt in ihnen, doch sein Bedürfnis, sich zu erklären, brennt noch heißer. »Da ist eine Dame namens Peri – noch ein paar andere, aber vor allem habe ich Peri, und die kann ich nicht einfach hängenlassen, und ich kann ihr auch nicht sagen, was ich bin, dass ich all die Jahre gelogen habe. Das würde sie umbringen. Ich dramatisiere nicht, ich bin fast sicher, das wäre die Folge, ich mache die schlimmsten Sachen mit ihr, und ich habe dafür gesorgt, dass

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