Das blaue Buch - Roman
damit anfängt, hört es nicht mehr auf – Anspielungen, Hinweise, Querverweise – und dann verwandelt sich jeder in den armen Tropf auf einer Party, der es für seine Pflicht hält, ständig Witzchen zu reißen und den Widerwillen der ganzen Versammlung auf sich zu ziehen.
»Und geht es ihr jetzt wieder besser, Beth?«
So ein Witzbold schürt tatsächlich Hass. Selbst die nettesten Menschen würden irgendwann ihren dunkelsten Trieben nachgeben und ihn filetieren, in Stücke schneiden – während er immer noch Sprüche reißt – und ihn in die Tajine, auf den Grill, in Gefrierbeutel für später werfen – je nach Art der Party.
Ich hasse sie nicht, weil sie nicht witzig sind, sondern weil sie bedeuten, dass nichts, was man sagt, unschuldig bleiben kann.
»Beth?«
»Ja. Ja, sie hat angerufen und gesagt, die Testergebnisse seien … beruhigend. Es ist bloß wegen der langen Seereise und dem Versicherungskram – falls man sie mit der Seilwinde in den Helikopter hieven oder mit Starthilfekabeln Wiederbelebung improvisieren müsste oder so was. Man hat gern gesunde Passagiere.«
Elizabeth zieht sich die Schuhe aus und legt sich aufs Bett. Sie schaut hinüber zu Derek, der nach der Zeitung greift und zu lesen beginnt. Er ist ordentlich in den verfügbaren Raum gefaltet – die Glieder, Gelenke und Winkel eines langen, drahtigen Mannes, diese besondere Gestalt. Und im Kopf lässt sie den Gedanken zu:
Liebe.
So ein schreckliches Wort – es verlangt immer, dass du gefügig wirst, dich fügst – man kann es gar nicht aussprechen ohne das Gefühl von Lecken, Schmecken, ohne die Lippen zu öffnen, offen zu sein, etwas hereinzulassen, das sich unter deinen Atem schiebt, und dann machst du den Mund wieder zu, willst es behalten, es lautlos aussprechen, seine Bedürfnisse erkennen – diese unsichtbare Medizin, diese unsichtbare Krankheit.
Sie setzt sich fest.
Im Gegensatz zu Sex. Sex ist ein kleines, rutschiges, gleitendes Wort – und kann so einfach und unkompliziert sein, wie es klingt.
Auch wenn er zu Beginn Anlass zur Sorge war – denn ich habe tatsächlich spät damit angefangen, ich war Spätentwicklerin und anfänglich meistens unsicher – aber war nicht jeder mal unsicher? Ich glaube, es ist ganz und gar nicht einzigartig, in der Jugend solche endlosen Zweifel zu hegen – Wenn er mich jetzt küsst, mich wirklich küsst – was nett ist – richtig nett – selbst dann, kann ich ganz sicher sein, wieso?
Mag er mich? Findet er mich attraktiv? Denn ich möchte doch hoffen, dass beides zwischen uns beiden eine Rolle spielt.
Oder küsst er mich so, wie er alle küsst, ist er einfach ein freundlicher Typ? Oder neugierig? Oder gelangweilt? Oder ist er gestolpert und zufällig gegen meinen Mund gefallen?
Was natürlich absurd ist, aber nicht falsch verstanden werden sollte. Meine Unsicherheit könnte auch signalisieren, dass ich hässlich bin und richtig liege.
Richtig damit liege, falsch zu liegen – romantischer Irrtum.
Werde ich beispielsweise geküsst, weil ich etwas Leckeres im Gesicht habe – auf den Lippen – vielleicht Bratensoße, vielleicht Marmelade – könnte Marmelade sein … Ist er bloß hungrig? Geht es hier nur um Marmelade? Ich möchte gern glauben, dass es vor allem um mich geht, aber ich könnte mir auch etwas vormachen.
Ich kann meine Unwiderstehlichkeit nicht für wahrscheinlich halten.
Was ich allerdings spüre, ist blendend, strahlend, bietet mir keine Namen an, frisst und verschluckt sogar alle Namen, die ich für mich selbst habe – und je mehr ich tue, was wir tun – denn er tut es auch immer noch: Wir tun es sogar gemeinsam – nur er in entgegengesetzter Richtung – und es funktioniert, wirklich – und ich hätte nicht gedacht, dass ein Körper, irgendjemandes Körper so, ja, so unterhaltsam sein könnte – je mehr wir dies tun, was es auch ist, desto weniger weiß ich darüber, desto weniger weiß ich über irgendwas, und desto weniger kann es mich kümmern, dass ich nichts weiß.
Ich bin rundum glücklich und löse mich gleichzeitig in Luft auf.
Wer hätte das gedacht?
Doch irgendwann bist du ganz vom Denken befreit und kannst anfangen zu entdecken, wer du mit ihm bist, Haut an Haut.
Und gemeinsam macht ihr Schönheiten.
Du und wer auch immer.
Es scheint nicht recht, es zu sagen, aber wer es ist, kann einigermaßen irrelevant sein.
Gar nicht negativ gemeint – auch wenn es schlimm klingt – doch die spezifische Identität des Herrn spielt, ehrlich
Weitere Kostenlose Bücher