Das blaue Buch - Roman
gesagt, keine so große Rolle.
Und das ist nicht deine Schuld. Es ist beinahe ihre Schuld: die Schuld zahlreicher – nicht übermäßig, aber doch bemerkenswert zahlreicher Herren, denn sie waren, muss man sagen, nicht so herausragend oder auch nur differenziert, also bist du, um Spaß, um bescheidene Freuden zu haben, äußerst differenziert geworden. Dein Herz, dein Geist, dein Körper, sie sind separate Teile. Du hast dich in Einzelteile aufgespaltet, die nicht mehr miteinander kommunizieren, die neugierig oder gelangweilt werden oder stolpern, und dein Zustand ist zwar sicher nicht ideal, aber du wirst offensichtlich nie enttäuscht.
Manchmal überwältigt dich fast ein Gefühl des Wartens, doch das zeigt nur, dass du noch nicht pathologisch oder abgestumpft bist. Und du wünschst auch keinem der Herren etwas Schlechtes. Auf der Straße würdest du sie mit stiller Sympathie anlächeln; würdest Mitgefühl zeigen, bekämen sie schlechte Nachrichten. Das ist allerdings keine Liebe – dies ist keine Liebe, das ist keineswegs dieses Wort.
Dies ist ungefährlich.
Du bist nicht in Gefahr.
Du hast Glück, bist nicht gebunden – eigentlich nicht – es ist eher so, dass du umsichtige Beschränkung schätzt, fast immer schon.
Der Schaden, den Liebe zufügen kann, dieses Chaos, ist dir bewusst, und dir ist klar, dass du verschont wurdest, du verschonst dich selbst. Du gehst also nicht direkt Beziehungen ein, sondern verfolgst eher eine Reihe von Hobbys, Gesellschaftsspiele für regnerische Abende und Nachmittage.
Auf mehreren durchaus akzeptablen Ebenen bist du also zufrieden.
Nur stehst du dann zum Beispiel – nur als Beispiel – vielleicht neben einem Mann, einem nicht ganz unbekannten Mann, und auf einmal – hart und scharf und ohne Grund – dringt jede seiner Schattierungen tief in dich ein: seine Neigung, seine Musik, die Feinheiten seines Dufts: Und du kannst ihn nicht berühren, doch du willst – kannst nicht reagieren, doch du willst – kannst dich nicht bewegen, doch du willst. Durch bloßes Nichtstun hat er dich im Begehren erstarren lassen. Und dann durchziehen dich die furchtbaren Wahrheiten: dass du ihn respektierst und fest entschlossen bist, hiernach stolz auf ihn zu sein, und dass du ihm sowohl Glück als auch Gesundheit wünschst – dass er es im Winter warm haben muss, und kühl in der Hitze, dass du keinen hässlichen Wind in seine Nähe kommen lassen und keinem Wichser erlauben wirst, ihn zu belästigen, und dass er es bequem haben soll, zumindest bequem, für immer. Diese Wünsche brennen schmerzhaft in dir, tiefer als Schwitzen, Bücken, Lutschen oder sonst welche von den dünnen, vorhersehbaren Phantasien, die dich vor seiner gegenwärtigen, allzu gegenwärtigen Realität bewahren könnten.
Der winzig kleine Gedanke, ihn Liebling zu nennen, ist fast unerträglich erregend.
Und das ist mehr als absurd.
Du wirst so unschuldig und selbstlos, dass du, würde deine Abwesenheit ihm gefallen, verschwinden würdest.
Du würdest gehen müssen.
Aber du kannst nicht gehen.
Du könntest nicht gehen.
Du könntest ihn nicht verlassen, während seine Stimme noch in deinem Schädel schnurrt und sich rollt und deine Gedanken denkt, während du auf deine Hände schaust und seine Finger fühlst, als wärt ihr einander zu Handschuhen geworden – und der Klang seines Atems und seines Schluckens könnte dich zu Fall bringen, dich an einen Ort führen, der dich zum Weinen oder um den Verstand bringt, obwohl du noch darin zu Hause bist, so frei in dir selbst, wie du noch nie gewesen.
Viele Menschen finden Gefallen daran, lassen sich gern finden und verlieren, besitzen und werden besessen.
Du gehörst nicht zu diesen Menschen.
Du gehörtest nicht zu diesen Menschen.
Doch euer jeweiliges Selbst ist verschmolzen, verwischt, verbunden. Er hat ein vereintes Begehren aus dir gemacht, ein Stück Verzweiflung, nur durchs Dasein und Existieren – mühelos.
Und seine Art der Existenz bedeutet, dass du mit ihm nicht schlafen wirst.
Soll heißen, du wirst mit ihm schlafen, aber gleichzeitig auch nicht.
Ihr werdet kompliziert sein.
Ihr werdet euch berühren – mit Berühren werdet ihr anfangen – ihr werdet rutschen und gleiten, halten und schaukeln und klammern. Ihr werdet miteinander schlafen – aber du würdest es nicht tun, ganz ehrlich nicht, wenn es nicht ganz und gar unmöglich wäre, das, was du sagen musst, auf andere Weise zu sagen.
Es wird nicht Sex sein, sondern ein Gespräch .
Und –
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