Das blaue Buch - Roman
nennt, läuft sie durch Duftfahnen von Aftershaves und Parfüms, die ihr seit Jahren nicht mehr begegnet sind.
Warum auch nicht? Man sucht sich eins, das man mag, und bleibt dabei. Eau Sauvage. Das hat mein Vater benutzt. Ich wette, irgendwer hier nimmt auch Hai Karate. Und Old Spice und Brut und 4711 und Charlie und Aqua Manda und Tramp und einfach nur Lavendel oder Maiglöckchen, denn da weiß man, woran man ist. Ja, genau.
Ich weiß nicht genau, woran ich bin.
Vielleicht sollte ich anfangen, Lavendel aufzulegen.
Ich weiß immerhin, wo ich bin: auf einem Schiff.
Das ist präzise.
Auf dem Meer, in der Wildnis, im Chaos – aber ich bin auch zweifelsohne hier auf diesem Schiff.
Jemand, den man in Ermangelung einer besseren Bezeichnung den »Schiffsfotografen« nennen könnte – kein Posten, den Beth für wesentlich gehalten hätte – hat sich eine weniger frequentierte Ecke in der Nähe der Aufzüge angeeignet und dort einen ziemlich ausladenden Hintergrund installiert, der die untergehende Sonne auf See zeigt. Paare lassen sich davor fotografieren – der tatsächliche Sonnenuntergang hat schon früher in frischerer und unvorhersehbarer Umgebung stattgefunden.
Der Fotograf stellt seine Motive in einer kleinen Auswahl sentimentaler Posen auf: Der Herr legt der Dame den Arm um die Schultern, die Dame lehnt sich an und legt dem Herrn die Hand auf die Brust, der Herr umarmt die Dame von hinten, während beide in einen Raum starren, den Beobachter vielleicht für erregend, aber auch unbestimmt melancholisch halten könnten.
Derek versteht ihr Interesse am Geschehen nicht. »Wir sollten hier nicht bleiben.« Er langweilt sich. Kann es nicht ausstehen, herumzuhängen, unser Derek.
»Es macht ihnen nichts aus. Sie wollen sogar angeschaut werden.«
»Aber nicht von uns – sondern von ihren Verwandten, oder wem auch sonst – später.«
»Warum besorgst du uns nicht eine Liste der Filme, die im Bordkino laufen? Ich bleibe hier stehen und starre sie an, bis du wiederkommst, und dann gehen wir essen.«
Er schüttelt den Kopf, und sie sieht, dass er sich kurz fragt, ob ihre Reise wohl von ihren seltsamen Vorhaben getrübt werden wird. Einen Augenblick zögert er, als könnte seine Missbilligung, wohl dosiert verabreicht, sie umstimmen. Sie reibt ihm über den Arm und schenkt ihm ein Lächeln, bis er es erwidert.
»Ich finde bloß … ich finde sie liebenswert, verstehst du? Es ist liebenswert.«
»Du willst aber nicht, dass wir so was machen?«
»Um Gottes willen, nein. Bist du wahnsinnig?« Wieder reibt sie seinen Arm. »Geh du mal nach den Filmen gucken. Ich bleib hier.«
Es ist nicht wahr – sie findet das Fotografieren nicht liebenswert – so viele Paare, die sich nicht berühren können, ohne sich gleich verzweifelt aneinanderzuklammern, die Hände auf die Herzen der Ehemänner gelegt, wie zur Prüfung, ob sie noch schlagen, das eigenartig unsichere Vorzeigen maßlos jüngerer Frauen. Die Singles – Grimassen schneidend, übermäßig tapfer, übermäßig schick. Als könnte man sie innerlich sagen hören – Das könnte ich an dem Abend sein, wo ich meinen Ehemann / ein unglaubliches Mädchen / einen total langweiligen Arsch, der in Kent Landhäuser renoviert, kennenlerne …
Nur ein Paar ist darunter, das Elizabeth nicht deprimiert, für das sie sich erwärmen kann: älterer Mann, zurückhaltend elegant, und dazu passende Frau, er steht halb im Schatten seiner Partnerin, präsentiert sie, weil sie immer noch schön ist und ihr der Vortritt gebührt, und er hält sie ganz leicht, um seine Bewunderung zu zeigen, und sie gleichzeitig sein zu lassen – denn ihr Sein ist offensichtlich genau das, was er mag – und sie lehnt sich entspannt an ihn und ist glücklich, und in ihrem Gesicht kann man lesen, dass sie sich im nächsten Augenblick umdrehen und ihn ansehen wird, und dann werden sie beide grinsen, das Geheimnis ihres Seins, ihres Miteinanderseins teilen.
»Und wie geht es Ihnen heute Abend?«
Scheiße.
Es ist der Mann aus der Schlange – der von links an sie herantritt und so plötzlich anhält, als sei eine Wand aus dem Boden geschossen.
Ist aber keine Wand – nichts steht ihm im Weg.
Elizabeth wusste, sie würde ihn wiedersehen.
Er ist von der Sorte, die sich nicht abschütteln lässt.
Sie überlegt, wie er es geschafft hat, sich ihr unbemerkt zu nähern.
Auch wenn seine Füße festgenagelt scheinen, zuckt und schwankt er, neigt den Körper, stellt sich so, dass er den Fotografen, den
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