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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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beide, und einen kurzen Moment glaubt Elizabeth, wenn sie ihn unterbricht, wenn sie ihn zum Schweigen bringen kann, dann werden ihre Fäuste sich lösen, und das Schlimme, was auf sie zukommt, wird sich abwenden und andere Menschen heimsuchen, doch ihr liegt nichts Verständiges auf den Lippen, nichts, was sie ihm sagen, womit sie ihn abwehren könnte, und so hackt er wieder nach ihr, nach Derek – diese kleinen, harschen Bewegungen seines Schädels, seiner Unterarme, alle im Takt mit dem Drängen seiner Worte: »Ich reise sehr viel mit dem Schiff – Frachtschiffe, Linienschiffe – ich hasse Fliegen – spät entwickelte Phobie – kommt oft vor im mittleren Alter – und ich kann die Büfett- Erfahrung nur empfehlen – das eine gleichbleibende, das eine verlässliche Element – besonders gut sind sie mit Fleisch – man kann an Bord viele Fleischesser treffen , nach denen ist das Büfett ausgerichtet – sehr gute Fleischgerichte – da wird einiges ausge heckt – trifft sich gut für meinen Geschmack – trifft das auch auf Sie zu? Wenn man sich als Vegetarier zu erkennen gibt, wird man wie der letzte Dreck behandelt, dann trifft einen ihr Zorn, und man kriegt nur gekochte Kartoffeln und eine Standpauke …«
    Elizabeth hört Derek zugeben, dass er nichts gegen Fleisch einzuwenden hat, und damit ist die Verbindung so weit aufgenommen, dass für sie alles zu spät ist.
    Viel zu spät.
    Nicht mehr zu retten.
    Wir werden mit ihm hingehen müssen.
    Und so gehen sie alle drei zusammen weiter, als wären sie Freunde. Sie arbeiten sich voran, über den leicht unzuverlässigen Fußboden und eine leicht unzuverlässige Treppe hinauf, während Elizabeth sich sagt – viel zu, viel zu, viel zu spät, wir sollten alles andere tun, nur nicht das hier – und bemerkt, dass sie Lockwoods Ellbogen tätschelt, vielleicht weil sie hofft, dass er sich dann sicherer fühlt.
    Ein sanftes Hemd, und unterm Stoff der Knochen – die ungeschützte Härte des Knochens – bis auf den Knochen – kleiner Knochen, großer Knochen, kleiner – freigelegt, voller Spannung und lauschend – da ist es, das Lauschen – das Brauchen.
    Und ein Zucken im Muskel.
    Noch eins.
    Es erwacht.
    Sie löst die Hand von ihm. Schlingt die Arme um ihre Taille, als sie weiter hochsteigen.
    Es erwacht – das hat es gesagt.
    Ich habe es bemerkt, und das weiß es.
    »Das eine, was ich wirklich mag – Fleisch.« Lockwood stellt sein Tablett auf ihrem Tisch ab und hat tatsächlich eine verstörende Menge Fleisch darauf geladen – vorschriftsmäßig rosarotes, zartes Rindfleisch – die eine eher zurückhaltende Auswahl an Gemüse verdeckt.
    Vor den Fenstern des Restaurants sieht man leeres Wasser und leere Luft, die ungeheure Höhle der Nacht, entschlossen, sie mit ihren eigenen Spiegelbildern zu konfrontieren. Elizabeth betrachtet eine gelbliche Version ihres Körpers bei dem Versuch, Lasagne zu essen – zögerliches Schneiden, kindische Bissen. Der gelbliche Lockwood schaufelt entschlossen Rindfleisch in sich hinein, nickt und ermutigt Derek zu ausführlichen Beschreibungen seines Geschäfts, seiner ersten Begegnung mit Elizabeth, anderer Reisen, die sie gemeinsam unternommen haben, seiner Eltern und seiner Schulzeit, seiner Hobbys. Derek tippt sein Essen an, bringt es jedoch kaum in Aufruhr. Lockwood verzehrt. Lockwood schluckt so, dass es fast nach Schmerzen aussieht, nach Ersticken.
    Am Ende hört Derek erschöpft auf zu reden. Er zwinkert. Er ist bleich, wird rasch bleicher, als er beim Hinsetzen war, als noch eine Minute zuvor. »Entschuldigt mich.« Er fährt mit dem Finger über Elizabeths Handrücken, steht auf und geht weg – knappe Schritte, und das Schiff fügt in unregelmäßigem Takt ein leichtes Schwanken hinzu. Das Meer macht sich bemerkbar.
    Lockwood sieht Derek hinterher, lässt Messer und Gabel sinken und kreuzt sie auf seinem Teller.
    Elizabeth dreht sich in Richtung Fenster – aber sie spürt ihn – Lockwood – sein Leben und sein Sitzen, sein Schauen und sein Denken kribbeln auf ihrer Haut.
    Störendes leises Geschirrklirren. Das Schiff fängt an, sich zu strecken, zu spielen.
    Oh Gott.
    Was das auch bedeuten mag.
    Was mag Gott bedeuten?
    Elizabeth stürzt schnell in einen Kopfschmerz und ist außerdem müde, müde, müde und so ausgehöhlt, so unverteidigt, so wehrlos, wo sie doch etwas anderes sein müsste. Wo sie doch sie weiß nicht was sein müsste.
    »Gnadenlos.« Lockwood wartet, bis sie sich zu ihm wendet, und wiederholt:

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