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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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»Gnadenlos.« Er betrachtet das Fenster und könnte das Meer meinen, das auf jeden Fall sichtbar, spürbar anschwillt.
    »Pardon?«
    »Nein, eben nicht.« Er schiebt seinen Teller weg, nimmt einen Schluck aus seinem Wasserglas, reibt sich mit der freien Hand übers Gesicht. »Wirst du, Elizabeth … Elizabeth, wirst du ihn heute Nacht ficken. Wirst du ihn ficken und ja sagen – wird er deine Stimme ja sagen hören – wird er in dir sein, wenn er deine Stimme hört – ja – und sich vorstellt – ja – dass du vielleicht, dass du vielleicht einwilligen wirst, seine Frau zu werden – ja – und sein Schwanz in dir, bewegt sich in dir – ja – wenn du es ihm sagst, wird er dann kommen …« Er dreht seine Handflächen nach unten und wieder nach oben und wieder nach unten, scheint verwundert von seinen extrem sauberen, sehr gepflegten Fingern und polierten Nägeln.
    Elizabeth erhebt sich halb, um wegzugehen, doch er schüttelt nur den Kopf – still, zutiefst erzürnt – eine so unterdrückte und verletzte Wut, dass sie erschrickt: diese schnellen Schatten und Zeichen, die sie in seine Augen schreibt, die Spannungen in seinem Gesicht – und sie muss sich einfach wieder hinsetzen. Es ist klar, dass er selbst nicht genau weiß, was er tun wird – dass er, je weiter sie von ihm weggeht, nur umso lauter fragen wird: »Verhütet ihr, oder kommt er direkt in dir, kannst du es spüren, wie es drängt und ungehindert fließt – sein Samen, Ejakulat, Saft – und sein leises – was ist es wohl: Grunzen, Keuchen, Zischen? Feuchte Worte? Ist es so bei ihm? Drängend und feucht?« Doch da Elizabeth so dicht bei ihm ist, presst er seine Sätze flach und leise heraus, irgendwo neben sie gerichtet, an eine Gestalt in der Luft, die anzuschauen, zu fixieren er ertragen kann. Sie kann er nicht ertragen.
    Vielleicht kann er überhaupt nichts ertragen.
    Er hustet, räuspert sich, hustet wieder. Und jetzt schüttelt Elizabeth den Kopf und weiß nicht genau, wieso.
    Falsche Bewegung – als ob ich mich über ihn lustig machen wollte – als ob ich ihn nachäffen wollte.
    Durch Nachahmung zeigst du ihm, dass du seiner Führung folgen wirst, gewährst ihm Sympathie und Dominanz, du beweist, dass ihr euch ähnlich seid. Menschen mögen Menschen, die so sind wie sie. Menschen erinnern sich an ihre Väter, Mütter, das Herabschauen von Familiengesichtern, Lächeln beantwortet Lächeln, fordert Lächeln – sie sehen, wie ihre eigenen Muskeln anscheinend jemand anderen bewegen, ein Beweis für gleichgesinntes Denken, für Liebe.
    Was natürlich total offensichtlich ist, und er ist nicht dumm.
    Doch wenn du seine Gestalt annimmst, könntest du ihn womöglich verstehen …
    Lockwood bemerkt ihre Bemühungen und lächelt nur – dieser junge, sanfte Blick, der sie trifft und nicht erwidert wird, der sie durchbohrt und wieder loslässt. Danach scheint er nachzugeben, sein Rückgrat sinkt etwas ein, sein Engagement wird schwächer. Sein Kopf fällt nach vorn, und er sagt zur Tischplatte: »Nein, antworte nicht. Nicht. Persönliche Frage. Lauter persönliche Fragen, gänzlich unpassend von einem Fremden. Meine Kommentare waren eine unangemessene Einmischung, und ich sollte mich dafür entschuldigen, was ich natürlich nicht tun werde.«
    Er macht eine Pause, der Boden bockt, zittert, beruhigt sich.
    Dann wird Lockwood leiser, nah am Flüstern, jedes Wort im gleichen, tiefen Ton, ehe er im rauen Ausatmen endet. »Du hast meinen Arm berührt.«
    Elizabeth kann nicht schlucken. Ihr Inneres füllt sich mit Stille. Sie schmeckt Milch – ja, es ist milchig und dickflüssig in ihrem Mund.
    Also konzentriere dich darauf.
    »Du hast meinen Arm berührt.«
    Milch und Stille.
    Was allerdings nicht leicht festzuhalten ist.
    Stille.
    Ist am schwersten festzuhalten, aber ich möchte sie so gern – Ruhe von dem Geplapper, dem Quatsch, dem Schritthalten, und immer müde vom fehlenden Schlaf wegen des Lärms – meines eigenen Lärms – wegen des Mülls, der sich hier drinnen abspult, unterm Haar, der Haut, den Knochen, immer rundherum wie im Labyrinth in meinem Hirn.
    Ablenkung.
    Eine Ablenkung, die mich nicht genug ablenkt – eine nicht ausreichende Fehlleitung weg von der näher kommenden Panik, die mich eigentlich gerade jetzt panisch machen könnte, weil ich weiß, dass sie unterwegs ist.
    Andererseits brauche ich das Geplapper nicht mehr. Keine Umleitungen mehr nötig, denn hier vor mir liegt meine perfekte Angst, ich kann das Versteck

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