Das blaue Haus (German Edition)
sich so gut aufgebaut.
Sie schwieg auch weiterhin über Julie, und Dr. Synacha kam nicht dahinter, was mit ihr los war. Die Blutergebnisse waren hervorragend, der Hormonspiegel der fortgeschrittenen Schwangerschaft entsprechend, und der Ultraschall sang regelrechte Lobgesänge. Es war eben nur Sarahs Nervenleiden, das allen zu schaffen machte. Das Kind entwickelte sich normal und war gesund. Aber es wurde unruhiger und aggressiver.
So verließ Sarah auch diesen Tag die Praxis wieder niedergeschlagen und müde.
Schon im Hausflur hörte sie das Telefon klingeln. Sie hoffte so sehr, dass es Julie sei. Es würde ihr jetzt gut tun, ihre Stimme zu hören, aber es war ihre Mutter. Sie berichtete ihr ohne Umschweife von der Todesanzeige, was Sarah zunächst nicht glauben konnte. Dann glaubte sie es und tat es als einen dummen Scherz der Medien ab, auf den sie nicht zu reagieren gedachte. Ihre Mutter schimpfte ohne Unterlass auf sie ein. Eine Stunde später saß Sarah ihr mit der Anzeige in der Hand gegenüber.
„Kind, wie kannst du nur sagen, die Anzeige sei ein Scherz und würde dich nicht weiter interessieren? Willst du denn nicht wissen, wer sich diesen makaberen Scherz erlaubt hat?“
Sarah schüttelte desinteressiert den Kopf. Sie mochte nicht einmal mehr einen Kaffee. Die Presse, dachte sie, wie immer war es die Presse, die sie auf jede erdenkliche Weise zum Reden bringen wollte. Warum nicht einmal auf diese Weise? Sie warteten alle sicherlich schon gierig auf ihre bestürzte Beschwerde und einigen Informationen über den neuesten Stand der Dinge. Nein, dazu hatte sie gewiss keine Lust. Sollten sie doch alle glauben, sie sei tot. Sie würden schon früher oder später herausfinden, dass es nicht so war.
Julie!, dachte sie plötzlich, ich muss es Julie unbedingt mitteilen, damit sie sich keine Sorgen macht. Das war ihre einzige Sorge.
April 1997. Salina. Markley Road. Bei Ragee.
Dane schlenderte die Treppe hinunter und freute sich auf eine heiße Tasse Kaffee von Ragee. Der Stoff seines letzten Buches über Verhaltensregeln und Strategien war trockener als Staub gewesen. Er musste an einen Gin denken, jetzt, nachdem er so vieles gelernt und geübt hatte, aber Alkohol war ihm strengstens von Ragee untersagt worden. Nie wieder, hatte Ragee gesagt, nie wieder Gin, überhaupt keinen Alkohol. Er könnte das Sprungbrett in den Tod sein. Das war einleuchtend, aber es nahm ihm nicht die Lust darauf. Er versuchte, an eine Cola zu denken, aber der Gin war stärker.
Als er unten ankam und zum Esstisch sah, dachte er an keines von beiden mehr. Es war merkwürdig, Ragee um diese Zeit schlafend neben einer kalten Tasse Kaffee zu finden. Plötzlich ergriff ihn die Panik! War Ragee tot zusammengebrochen? Das Herz!
Dane rannte zum Tisch und riss den alten Mann ungehalten aus seinem Tiefschlaf. Als er feststellte, doch nur den Schlaf des alten Mannes gestört zu haben, konnte er sich kaum beruhigen.
Ragee sah benommen auf. Als er die Zeitung neben sich auf dem Tisch erblickte, wurde ihm wieder klar, in welcher unangenehmen Lage sich beide jetzt befanden. Ihm fehlten die Worte und Gesten, wie ihm so vieles fehlte, um Dane vorzubereiten.
Schon alleine Ragees Schweigen beunruhigte Dane. Es lag immer etwas in der Luft, wenn zwischen ihnen kein Gespräch zustande kam, gerade am späten Nachmittag, wenn beide am gesprächigsten waren. An diesem Nachmittag war alles anders, sogar die Luft zum Atmen. Sie schien stickig und ungesund zu sein.
„Was gibt‘s?“, unterbrach Dane unruhig die Stille und versuchte, sich locker zu verhalten, obwohl er innerlich vor Unruhe bebte. Vielleicht war es wieder der Beginn eines aufreibenden Rollenspieles, das sie schon oft gespielt hatten und immer ähnlich begann. Er trug den kalten Kaffee des alten Mannes in die Küche, um überhaupt etwas zu tun. Noch nie hatte Ragee ein Rollenspiel mit einem solchen Schweigen begonnen. Meist begann es mit dem Verteilen von Rollen, wobei Dane immer er selbst bleiben musste, nur Ragee bekam eine besondere Rolle. Kontrolle üben, war Ragees Ziel. Doch diesmal lag etwas Unheimliches in der Luft.
Dane dachte über die mögliche Ursache eines solchen Schweigens nach. Zuerst kam ihm Julie in den Sinn, die so wohltuend verstummt und unsichtbar geworden war. Dann dachte er an die Zeitung, vielleicht ein neuer, unglücklicher Artikel über Sarah – eine neue Lüge.
„Was drin?“, fragte Dane, als er zurückkam und auf die Zeitung zeigte. Er wollte nicht mit Julie
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