Das blaue Haus (German Edition)
ihres Anrufbeantworters zu hören. Da war sie und doch wieder nicht – so weit weg – so unantastbar. Er wartete noch das Zeichen für die Bandaufnahme ab und legte dann den Hörer wieder auf die Gabel. Er sah zu Ragee, der ihn oben von der Treppe aus beobachtet hatte.
Er hatte gewusst, dass Dane eines Tages zum Telefon greifen würde.
Dane wirkte benommen, diese Bandaufnahme bestätigte weder das eine noch das andere. Es war nur ein kleiner Griff zu einer lebenden oder einer toten Sarah geworden. Auf jeden Fall war es ein sehr gewagtes Vorhaben gewesen.
Dane hatte soeben ihre Stimme wieder gehört – zum ersten Mal seit Monaten. Ihre Durchsage war zwar knapp und steif gewesen, aber ihre Stimme ... ein Klang, den er nie vergessen hatte. Jetzt war sie ihm noch näher. Das erfüllte ihn mit tiefer Freude, doch sie war etwas getrübt. Er wusste nicht, was genau es war, aber es störte etwas zwischen ihr und ihm. Er fühlte zum ersten Mal ihre Kraftlosigkeit. Er fühlte, dass es Zeit wurde, zu ihr hinzukommen. Manchmal brannte die Sehnsucht nach ihr so stark in ihm, dass er es vor Schmerzen kaum aushalten konnte. Dann weinte er, alleine, in seinem Bett in der Nacht. Es wurde Zeit, sie bald wieder zu sehen, sie aufzufangen. Es ging ihr nicht gut, nicht gut genug, um einen gesunden Sohn zur Welt zu bringen. Er musste ihr unbedingt bald helfen.
April 1997. Grand Junction. Sinclairroar. Bei Julie.
Julie fühlte sich am 22. April überhaupt nicht gut, obwohl heute ihr nächster Plan in Kraft trat. Doch da waren diese Schmerzen im Unterleib und das Schmierblut in ihrem Slip. Sie hatte Ragee und Dane immer noch nichts von ihrer Schwangerschaft erzählt. Nein, sie wollte es als ein besonderes Bonbon für Dane behalten. Sie wusste, dass Ragee jetzt viel an ihm arbeiten würde, jetzt, wo Sarah tot war. Er würde Dane von dieser schwachen Frau befreien.
Ihre Schmerzen führte Julie auf den Stress zurück. Sie wollte sich eigentlich die neue Ausgabe der Denver Post kaufen, um zu sehen, ob alles geklappt hatte, doch die Intensität ihrer Schmerzen ließ es nicht zu. Es war ihr nicht einmal mehr möglich, das Bett zu verlassen, und sie wusste, was das zu bedeuten hatte. Ein Besuch bei Sarah stand auf ihrem Programm. Dort wollte sie mit ihr die heutige Anzeige rein zufällig finden, so ganz unvermittelt, doch die Tatsache ihres jetzigen Zustandes sollte ihr Vorhaben in eine völlig andere Richtung lenken. Es war unmöglich, heute nach Denver zu fahren, wahrscheinlich noch nicht einmal zum nächsten Arzt.
Zwei Stunden rang sie mit der Überlegung, ihren Gynäkologen anzurufen, und fünf Stunden später war der verkümmerte Fötus aus Julies Unterleib ausgeschabt.
Sie fiel in eine tiefe Depression und sollte zur Beobachtung einige Tage im Spital bleiben. Sie konnte sich dem nicht widersetzen, dazu fehlte ihr die Kraft. Sie versuchte, dort zu schlafen und den Verlust ihres Babys irgendwie in sich aufzunehmen, doch es blieb ein unglückliches und oberflächliches Schlummern und strapazierte ihre Nerven bis zum Zusammenbruch.
Dr. Bauer wollte Ragee in Salina anrufen, aber Julie hatte es ihm mit aller Härte verboten. Alle wussten, wessen Baby es war, das Julie in sich getragen hatte. Wem war schon ihr verändertes Verhalten, seit Alan Gampell in diesem Ort aufgetaucht war, verborgen geblieben?
Drei Tage später war Julie wieder zu Hause, und alles kam ihr plötzlich so leer vor. Sie konnte sich an den Gedanken, Danes Baby verloren zu haben, einfach nicht gewöhnen und ließ sich in tiefen Hass fallen. All das, womit sie Dane zu gewinnen gehofft hatte, war ihr genommen worden, und sie glaubte, dass Sarah ganz allein daran schuld war. Sie hatte sich heimlich einer Macht bedient und ihr das Baby genommen. Es war sicherlich die Antwort auf ihre Todesanzeige.
Doch was sie von Dane nicht bekommen konnte, sollte auch keine Sarah mehr von ihm bekommen!
April 1997. Salina. Markley Road. Bei Ragee.
Ragee, der immer recht aufmerksam die Klatschspalten der Zeitungen durchlas, kam seit der Todesanzeige nicht mehr umhin, sich nun auch all das andere durchzulesen, das ihn im Grunde langweilte. So las er von Verkäufen, von Partnersuche und von Schenkungen. Dann, verborgen zwischen den Grußzeilen und dem Allerlei, las er jene Zeilen, die ihn wieder aus der Fassung brachten:
So, wie ich's Dir vorgegeben,
so wird es in Dir weiterleben.
Es küsst Dich Dane.
Zuerst verschmähte der alte Mann seine Argwohn und dachte an die vielen Tausend Danes, die
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