Das blaue Haus (German Edition)
Ich komm' Dir näher Schritt für Schritt,
es fehlt nur noch ein kleines Stück.
Du siehst ein Licht, wie ich's gesehen,
der Tag wird kommen, es wird geschehen.
Fast bin ich da, kann Dich schon riechen,
noch ein Stückchen muss ich kriechen.
Ganz tief aus meinem Grab ich greife,
Dich dann zu mir herunterschleife.
Du stehst vor einer großen Reise.
Sag Adieu und warte leise.
Verfasser unbekannt
Dane bekam kaum noch Luft. Seine Lungen zogen sich wie leergesogene Blasebalge zusammen.
Er ließ das Buch langsam aus seinen Händen gleiten. Sein Herz schmerzte zum ersten Mal in seinem Leben.
Das war es also, das seinen Instinkt geleitet hatte.
Er brauchte nicht mehr nach den Ringen zu schauen. Jetzt hatte er einen stichhaltigen Beweis für Julies Schuld.
Wie klug sie es gefunden, interpretiert und zerteilt hatte! Jetzt wurde ihm Julie nicht nur gefährlich, sondern auch unheimlich.
Wie weit mochte Julie schon gegangen sein? Wie sehr drängte die Zeit jetzt für ihn, endlich mit Sarah zu kontaktieren ... Sie stand wenige Wochen vor der Entbindung.
Dane schlief nur zwei Stunden und stand mit Ragee schon um sechs Uhr auf.
Was Raimund Geers sich gestern an Freude und Zuversicht mitgenommen hatte, wurde in der ersten Morgenstunde zerstört.
Ragee suchte wie jeden Morgen zuerst einmal die Toilette auf. Als er das Bad verließ, stand Dane vor ihm und sah ihn kummervoll an. Ragee erschrak – nicht vor Dane selbst, eher vor seinem unerwarteten Erscheinen um diese Zeit. Er hatte ihn selten vor acht Uhr hier unten erlebt.
An Dane haftete immer noch das Parfüm von Julie. Es war so stark, als hätte sie in dieser Nacht bei ihm geschlafen. Jetzt wäre Ragee nicht mehr böse. Doch dem war nicht so.
Der Duft entwich diesem Buch, das Dane in seiner rechten Hand hielt. Er schaute den alten Mann bekümmert an.
„Was Wichtiges?“, fragte Raimund Geers.
„Momentan das Wichtigste in meinem Leben. Komm.“ Dane ging zum Esstisch und legte das Buch darauf.
„Altdeutsche Lyrik?“, fragte Ragee verwundert. „Du bist unter die Dichter gegangen?“
„Ich musste, ... um dir einen Verdacht zu beweisen, der mich schon lange beschäftigt. Jetzt habe ich alles gefunden. Ich hoffe, dass ich dich überzeugen kann ... und dass unser Vertrauen nicht leidet.“
Ragee schaute ihn ernst über die Brille hinweg an, dann sah er auf das Buch. Dane sprach von Vertrauen. Wie wichtig musste ihm diese Mitteilung sein, dass er sie so viele Tage lang zurückgehalten hatte? Er hatte sich scheinbar wirklich um einen vernünftigen Weg bemüht, der kein Vertrauen zerstören sollte.
Der alte Mann holte geschwind seinen Morgenmantel von oben. Dabei spürte er wieder diesen Schmerz in seinem Herzen. Das stimmte ihn fortan misstrauisch. Als er wieder unten war, sah er erneut auf das Buch, das auf dem Tisch lag. Es war Julies Buch. Ragee wurde nervös.
Dane stand immer noch am Esstisch. Er wusste, dass Ragee seine Tochter sehr liebte, aber er liebte Sarah. Ihm wurde flau. Er hörte das leise „Nun“ des alten Mannes und begann zaghaft: „Schlag die erste Seite auf.“
Er schob das Buch über den Tisch zu Ragee. Dieser schlug die erste Seite auf.
„Was liest du auf der ersten Seite?“, fragte Dane.
„Julie Presscott – 843, den Titel und eine Widmung ihrer besten Freundin Lynn. Die kenn' ich. Mit ihr ist Julie zur Schule gegangen.“
„Schön. Was schließt du daraus: aus dem Namen, ... der Zahl ... und aus der Schrift?“
„Dane! Das ist albern. Es ist Julies 843. Buch. Es ist ihre Schrift, also wird es wohl ihr gehören.“
„So stimmst du mir zu, dass es weder mir noch einem anderen Menschen gehört.“
„Ja, das würde ich. Warum?“
„Weil es eins von den drei Büchern ist, die ich mir gestern von Julie ausgeliehen habe. Riech dran.“
Ragee brauchte nicht zu riechen. „Julies Parfüm.“
„Falsch! Sarahs Parfüm“, gab Dane scharf zurück.
„Dane!“ Der Alte lächelte dabei, aber mehr verärgert als amüsiert.
„Ich kenne Sarahs Parfüm. Ich habe es selbst mit ihr im Hause Douglas kreieren lassen. Es gibt nur das Eine. Wir haben einen Geheimcode dafür gekauft. Glaub mir, ich kenne es.“
„Dane, meinst du nicht, dass das alles ziemlich albern klingt? Wie kommst du auf solch eine kuriose Annahme?“
„Es liefen viele Dinge voraus, die ich einfach nicht beweisen konnte, aber jetzt kann ich es.“
„Gut, der Annahme halber sagen wir, es ist Sarahs Parfüm. Ich verstehe nur nicht, was du mir damit sagen willst.“
„Ich möchte, dass
Weitere Kostenlose Bücher