Das blaue Haus (German Edition)
auf den Tisch fallen. Dane fuhr verzweifelt fort. Es war wie eine Explosion, die aus ihm herausbrach und Ragee vollkommen taub machte: „Deine eigene Tochter arbeitet so offensichtlich gegen deine Therapie – gegen alles, was dir heilig ist, dass ich Angst bekomme. Ich habe versucht, sie im Guten aufzuhalten, doch anstatt Ruhe zu geben, erfand sie Terrorpläne ohne Ende. Hast du ihre Möbel gesehen? Sie hat Sarahs Stil kopiert. Warst du nicht der, der mir noch gezeigt hat, wie modern es Julie liebt, und warst du nicht der, der mehr über ihren Geschmackswandel erstaunt war als ich? Ihre Frisur, die Ohrringe, diese Wortwahl, das alles ist Sarah! Zweifellos hat sie Kontakt zu ihr, denn nichts von alledem, was sie weiß, hat je in den Zeitungen gestanden. Da bin ich mir ganz sicher. Dieses verdammte Buch ist mein einziger Beweis für meine Unschuld und meine Anklage gegen sie. Und ich erliege keinem Hirngespinst.“
Während Ragee in seinen Armen verharrte, flehte Dane verzweifelt weiter: „Warum kannst du mich nicht ansehen? Ragee! Verdammt! Wie sollte ich es dir je anders sagen? Was soll ich tun? Sag was! Rede mit mir! Sieh mich doch wenigstens einmal an!“ Dane sank zusammen. Es war der längste Redeschwall, den Ragee je von ihm gehört hatte, den er je in seinem Leben von sich gegeben hatte. Es raubte ihm all seine Energie.
Raimund Geers zeigte nicht ein bisschen Interesse an seinen Worten.
Irgendwann erhob sich der alte Mann, während Dane verzweifelt mit seiner Wut kämpfte. Stumm und blicklos bewegte sich Raimund Geers die Treppe hinauf. Dane sah ihm erschöpft nach und konnte es nicht glauben! War denn da gar nichts an seinen Worten, das der Alte glauben wollte?
Ragee stand oben am Treppengelände, als Dane das Klicken hörte. Dann sah er in die Mündung einer neun Millimeter Smith and Wesson!
Mai 1997. Golden/Denver. Bei Sarah.
Sarahs letzte Untersuchung bei Dr. Carola Synacha war wie alle vorherigen positiv und zufriedenstellend – soweit ihr physischer Befund. Um den Psychischen machte sie sich je-doch ernsthafte Sorgen.
„Was ist es, das Sie so fertig macht?“
Sarah zuckte ratlos mit ihren Schultern. Ihr fehlte der glückliche Ausdruck einer werdenden Mutter.
„Mrs. Gelton, in sieben Wochen kommt Ihr Sohn zur Welt. Sie müssen sich aufbauen, sonst schaffen Sie die Geburt nicht. Sie brauchen Kraft dafür. Sie haben schon wieder ein Kilo Gewicht verloren. Es wird Ihrem Sohn schaden, wenn Sie nicht bald zu sich kommen.“
Wieder zuckte Sarah nur ihre Schultern. Die Gynäkologin hatte eine Hausgeburt mit ihr geplant und abgesprochen, doch nach dem Stand der Dinge blieb ihr wohl die stationäre Geburt nicht erspart. Was mochte es nur sein, was dieser Frau so offensichtlich zu schaffen machte?
„Sagen Sie mir ein Wort, Sarah. Ein Wort, das Sie endlos bewegt. Nur eins.“
„Dane“, flüsterte Sarah und spürte die Last in ihrem Herzen.
„Werden Sie mit seinem Tod nicht fertig?“
„Nein, ja ... doch. Es ist der Hass gegen ihn, der mich fertigmacht.“
„Warum Hass?“
„Weil es hilft, von ihm loszulassen. Aber es hilft mir nicht. Es zerstört mich.“
„Was ist mit ihrer Liebe zu ihm?“
„Zu einem Mörder?“
„Ein Mörder ist auch ein Mensch. Sie tragen ein Kind von ihm in sich, den Beweis einer Liebe, die einmal dagewesen ist. Liebe darf nicht zu Hass werden. Liebe muss sich bewahren, sonst zerbricht man daran. Wer hat Ihnen denn diesen Hass eingeredet?“
Sarah erzählte zum ersten Mal von Julie. Sie bettete sie in unzählige Lorbeerkränze, und Dr. Synacha wog zweifelnd ihren Kopf hin und her.
„Mögen Sie Julie?“, fragte die Gynäkologin.
„Ich glaube, ja.“
„Wissen Sie es auch?“
„Ich weiß nichts mehr.“
„Ist es für Sie nicht klüger, sich die Liebe zu Ihrem Mann zu bewahren, als Hass für ihn zu empfinden? Sicher gibt es Menschen, die auf diesem Wege besser durch das Leben kommen, aber so ist es nicht bei jedem. Sie atmen in der Liebe und ersticken im Hass. Wie ist es bei Julie?“
„Anders.“
„Dann lassen Sie sie anders sein und Sie sich selbst. Sagen Sie ihr das. Ich glaube, dass Dane auch ein guter Mensch mit viel Liebe war, die er vielleicht nicht so zeigen konnte, wie andere es können, aber bewahren Sie sich dennoch ihren Glauben an ihn. Lieben Sie ihn weiterhin, lieben Sie sein Kind, bis irgendwann einmal jemand kommt, der diese Liebe für ihn weiterträgt und sie nährt. Sehen Sie, was der Hass angerichtet hat? Tragen Sie nicht den Hass von anderen Menschen in
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