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Das blaue Haus (German Edition)

Das blaue Haus (German Edition)

Titel: Das blaue Haus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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warum. Er war auf dem besten Wege in die Freiheit zu gelangen, und sein eigener Verstand hinderte ihn plötzlich daran.
Er sah zurück in den Raum, um herauszufinden, was es war, das ihn nicht gehen ließ. Sein Blick fiel auf den aufgeklappten Sarg. Mein Gott, durchfuhr es ihn, wie hatte er das vergessen können? Er hatte sich perfekt bis zur Freiheit gearbeitet und die auffälligste Spur seiner Flucht überhaupt übersehen. Wahrscheinlich hätte es nur wenige Stunden gedauert, und sie alle wären wieder auf der Suche nach ihm.
Er ließ sich wieder leise zu Boden gleiten und sah auf seinen Sarg, wie er aufgeklappt, leer und verschoben zwischen den anderen Särgen stand. Leer. Er konnte ihn wieder zuklappen und zurechtrücken, aber das gab ihm nicht das fehlende Gewicht zurück. Um wie vieles leichter mochte er jetzt sein? Auch das wäre ein Verrat seiner Flucht. Suchtruppen wären mobilisiert; alles endete wieder an dem gleichen Ort, von dem er geflüchtet war. Alles wäre wieder da: die Patienten, die Ärzte, der Geruch, der Krach – vielleicht sogar noch schlimmer. Der Gedanke daran schnürte ihm den Atem ab. Seine Unachtsamkeit quälte ihn und schickte ihm erneut Kopfschmerzen, die nicht mehr wegzumassieren waren. Er brauchte eine gute Idee – schnell, zur Not auch mit Kopfschmerzen. Was sollte sein verdammtes Gewicht ersetzen? Was war hier in diesem Raum zu finden, das sein Gewicht ersetzen konnte? Sollte er eine andere Leiche dort hineinlegen? Dann würde ein anderer Sarg auffallen. Zum Schluss würde man alle Särge öffnen und schnell herausfinden, wer fehlte.
Dane verwarf die Idee geschwind und sah auf die glänzenden Metalltüren der Schränke. Er begann, hektisch die Schranktüren zu öffnen und dachte nicht mehr an die Geräusche, die er verursachte. Schemenhaft erkannte er die zusammengefalteten Totenhemden, Sarggriffe, Handschuhe, Bibeln und Sargausschläge. Unruhig durchsah er wieder und wieder die Inhalte der Schränke und begann, nach langer Zeit wieder mit Gott zu sprechen. Wen hatte er sonst? Doch sein Gott wollte nicht antworten, und Dane nickte verständnisvoll, als er auf die Särge sah. Okay, es war nicht angebracht, hier mit ihm zu reden.
Ihm kam die Idee, vielleicht all diese Sachen aus den Schränken in seinen Sarg zu legen, bis ihm das Gewicht angemessen erschien. Aber was wäre, wenn jemand eine Bibel brauchte und den Schrank öffnete? Was, wenn dieser Jemand sehen würde, dass nicht nur die Bibeln fehlten, sondern alles fehlte? Was, wenn jemand so schlau wäre und deswegen in die Särge schaute? Unmöglich? Aber denkbar. Manchmal ließ sich die Naivität gewisser Menschen nicht abschätzen, die plötzlich einer heißen Sache auf die Spur kommen.
Dann sah Dane die große dunkle Stoffrolle ganz hinten im Inneren eines Schrankes. Die Dunkelheit hatte sie verschluckt und nur durch ihre glänzende Seidenfaserstruktur verraten. Sie entsprach so ziemlich seiner Größe und war verdammt schwer. Was für ein Experiment!
Später wusste er nicht mehr, wie er die Rolle in den Sarg bekommen hatte; er erinnerte sich nur noch an sein lautstarkes Fluchen. Er schloss erschöpft den Sargdeckel. Die Verschläge klickten viel zu laut ein. Er hörte Schritte. Sie kamen näher. Dane fuhr hoch! Hitze schoss in sein Gesicht! Er sah auf all die geöffneten Schränke. Unmöglich!, dachte er. Ein Experiment, das schon während der Aufbauphase zerplatzte? Wenn ... dann wäre jetzt alles aus.
Die Schritte wurden lauter. Zwei Schatten durch den unteren Türritz ließen die Füße eines Menschen vermuten. Dane fühlte einen Erstickungsanfall aufkommen und hechelte – die Medikamente. Sie waren unberechenbar und sauerstoffraubend. Starr verharrte er vor seinem eigenen Sarg und rang nach der wenigen Luft, die er einzuatmen bekam. Die Schatten der Füße entfernten sich nach wenigen Sekunden wieder. Nach einem hörbar lauten Knall – Dane vermutete das Zuschlagen einer Schranktür – entfernte sich das Geräusch der Schritte weiter, bis es schließlich ganz verklang.
Dane konnte sich vor Schreck nicht rühren, auch als er die Schritte schon wieder vergessen hatte. Es wäre die Fahrkarte zurück in die Psychiatrie gewesen. Ein panischer Gedanke, der ihn lähmte und ihn nur schwer wieder zu sich kommen ließ.
Mit seinem Körper war auch sein Kopf wieder blockiert, und er bemühte sich um die Erinnerung seines eigentlichen Vorhabens. Sein eigener Atem befreite ihn schließlich aus seiner Apathie, und er sah zu dem

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