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Das blaue Haus (German Edition)

Das blaue Haus (German Edition)

Titel: Das blaue Haus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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etwas klarer denken. Seine linke Hand fuhr zur Stirn, er schwitzte und wischte den Schweiß mit dem Unterarm weg. Grau, rosa und braun klebte sich die Schminke auf den rechten Ärmel seines Jacketts. Sollten das wirklich die Farben seines Lebens gewesen sein?
Er sah sich in der Dunkelheit voller Schatten um. Es herrschte eine alles umschließende Stille. Jedes Geräusch wurde plötzlich zu seinem Feind, jede seiner Bewegungen war in der Stille unerträglich laut, selbst sein Atem. Er wusste nicht, wo die Leute hingegangen waren, die ihn eben noch in den Sarg gelegt hatten.
Er horchte an der Tür, alles war ruhig. Durch den unteren Türritz fiel ein kleiner Lichtstrahl und beleuchtete fast unscheinbar den mit Bohnerwachs polierten grauen Kunststoffboden. Der Raum roch scheußlich, mehr nach Lack und Lasur als nach Leichen. Zwei Oberlichter warfen ein schimmerndes Licht in den Raum. Schattig zeichneten sich die Konturen weiterer Särge ab. Insgesamt waren acht Särge aufgebahrt, auf Tischen wie in einer Kantine. Trotz Dunkelheit glänzte es überall, und es warfen sich dünne, spitze Strahlen durch den Raum.
Es war kalt, sein Atem hauchte in die groteske Umgebung. Er spürte die Kälte nicht – wie auch, bei dieser scheußlichen Fettglasur auf seiner Haut.
Was ihm immer noch Probleme bereitete war das Denken – zweifellos die Nachwirkungen der vielen Medikamente. Er stand da und wusste nicht, was nun weiter passieren sollte. Im gleichen Maße, wie er sich anstrengte, so sehr verstärkte sich dieses taube Gefühl in seinem Gehirn. Er drückte mit seinen Zeigefingern auf die Schläfen und spürte die dicke Schminke über der Hauptschlagader. Sie pulsierte hart, als hätte er gerade einen Marathon hinter sich. Er begann, die Schläfen zu massieren, das tat gut. Das taube Gefühl ließ etwas nach. Dann sah er auf. Sein Blick war nun klarer, und er lächelte zufrieden. Das Denken setzte wieder ein. Er begriff die Situation, in der er steckte und begann, seine Gedanken zu aktivieren  …  
Zunächst taxierte er den Raum auf Fluchtmöglichkeiten. Es war sicherlich unmöglich, die Tür zu benutzen und sich mit einem kurzen Gruß an den Bestattungsunternehmer davonzustehlen. Ihm fielen die Oberlichter ins Auge. Die könnten reichen, wenn sie entsprechend zu öffnen wären. Unter ihnen glänzten im Schatten der Dunkelheit blankpolierte Unterschränke.
Dane überprüfte kurz seine Kraft und begann, sein Gewicht vorsichtig an den Schränken hochzustemmen, doch seine Muskeln wiesen ihn wieder darauf hin, wie sehr sie noch aus der Übung waren. Keine Hast, dachte er und versuchte es noch einmal. Er schaffte es wieder nicht und glitt erschöpft zu Boden. Sein Atem wurde heftiger, und Unruhe stieg in ihm auf; eine Pause war vonnöten. Sein Atem musste unbedingt ruhiger werden, und seine Muskeln mussten sich erholen. Eine Uhr fiel ihm ins Auge. Jemand hatte seine Armbanduhr auf dem Schrank vergessen. Was für eine Gelegenheit, sich auch einmal als Dieb zu etablieren. Geschwind rutschte sie über sein Handgelenk und schloss sich mit einem lauten Klick – viel zu laut für diesen Raum. Doch es schien sich niemand in unmittelbarer Nähe aufzuhalten, der dadurch aufmerksam wurde.
Dane startete einen erneuten Versuch, auf die Schränke zu steigen. Es gelang ihm. Er stand auf dem Unterschrank und sah durch das verschmutzte Glas der Oberlichter. Er befand sich in einem Kellerraum, wie er mit einem kurzen Blick feststellte. Braunes trockenes Laub sammelte sich vor dem Fenster und presste sich an die Scheibe.
Er musste beim Öffnen vorsichtig sein, es durfte nichts in das Innere des Raumes gelangen.
Behutsam drehte er den Hebel von unten nach rechts. Das Fenster ließ sich problemlos öffnen, und Dane atmete erleichtert auf. Er öffnete einen kleinen Ritz und schob vorsichtig das Laub weg. Es durfte wirklich nichts hineingelangen; es war schier unmöglich, es spurlos in der Dunkelheit wieder zu beseitigen. Gott sei Dank war es windstill. Er öffnete das Oberlicht weiter und fühlte wieder Drehschwindel aufkommen. Was für eine verhängnisvolle Falle hätte ein verschlossenes Fenster werden können. Er schob das übrige Laub weg und achtete peinlich genau darauf, dass kein Blatt hineinwehte. Dann sammelte er wieder alle Kraft und versuchte, seinen Körper dem kalten Winterabend entgegenzustemmen. Der Sieg wurde jedoch zu einer Niederlage, denn sein Verstand quälte ihn plötzlich wieder in das Innere des Raumes zurück. Er wusste nicht

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