Das blaue Haus (German Edition)
Unschlüssigkeiten. Wie sollte es weitergehen? Was sollte weitergehen?
Erinnerungen an sein früheres fröhliches Leben mit Johnathan und Jim in Glendale/Kalifornien schwammen an ihm vorüber. Dann an sein schönes Leben mit Sarah auf der Farm in Topeka. Dunkle Wolken durchzogen plötzlich seine Gedanken. Er sah seinen Vater, den er getötet hatte; seine Mutter, die er bis in den Tod gepflegt hatte; seine Brüder, die von seinem Vater zu Tode gequält worden waren; Ragee, der nun versuchen würde, das alles wieder aus ihm herauszugraben; und schließlich Julie, die seine abstrusen Gefühle provozierte. Das Chaos regierte wieder, und er schrie erneut so laut, dass die Weite einen Widerhall gab.
Als ihm die Luft ausging, inhalierte er neue und schrie weiter. Schreie, Chaos, Angst, Verzweiflung. Seine Hände begannen auf sein Gesicht einzuschlagen, bis es blutete. Das Blut lief aus seiner Nase und tropfte dunkelrot in den Schnee. Dann platzte seine Oberlippe auf. Er spürte keinen Schmerz, nur die Notwendigkeit, dies alles tun zu müssen. Niemand war da, der ihn zurückhalten konnte. Er prügelte auf seine eigene Dummheit ein. Die Wut war so stark – gegen sich, gegen alle, dass er kein Ende finden konnte. Er biss in seine Fäuste hinein, bis auch sie tiefe Wunden aufwiesen, und riss sich kleine Haarbüschel vom Kopf. Dann endlich kehrte die Ruhe wieder ein. Der innerliche Schmerz ließ nach und der körperliche begann, sich zu melden. Doch er wollte nicht weinen, auch wenn es überall wehtat. Er dachte an Sarah und daran, wie gerne er sich jetzt für sie töten würde. Vielleicht war es überhaupt die beste Lösung, hier einfach liegen zu bleiben. Alles hätte endlich ein Ende, wenn da nicht dieser kleine Funken von Hoffnung noch in ihm wäre, der sagte, es könnte alles gut werden, wenn er nur zu vertrauen lernte. Was hatte Ragee ihm Böses angetan? Oder Julie? Was hatten sie getan, dass er so reagieren musste? Sie waren beide doch nur freundlich zu ihm. War es nicht sein Misstrauen, das alles wieder kaputtmachte? War es nicht dasselbe Misstrauen, das auch seine Ehe kaputtgemacht hatte? Wie konnte er das nur ablegen?
Schon wieder kamen ihm die Tränen, und er versuchte, über den Sinn von Vertrauen nachzudenken. Welche Rolle hatte es je in seinem Leben gespielt? War es nicht die Gabe, die ein Kind von seinen Eltern mit ins Leben bekommen sollte? Seine Eltern hatten es vertan. Eine vergessene Gabe, die seine Angst erklärte, Menschen, die ihn mochten, zu vertrauen. Bei Sarah hatte es kurzzeitig geklappt. Hatte sie nicht immer von dieser Tugend gesprochen? Johnathan hatte ständig in dem Glauben gelebt, Danes ganzes Vertrauen zu besitzen. Welch ein Irrtum. Sein Vertrauen hatte immer einen anderen Namen gehabt: Täuschung. Wie konnte er die Täuschung ablegen? Seine steife Hand berührte den Schnee und mühsam schrieb er das Wort VERTRAUEN in ihn hinein.
Ragee wusste, dass Dane wiederkommen würde. Er kannte solche Reaktionen bereits von früheren Patienten, die zum ersten Mal mit ihm als Psychiater konfrontiert wurden. Es war die Angst, die sie weglaufen ließ. Angst, wieder mit den Dingen konfrontiert zu werden, die sie einst in schlimme Traumatas geworfen hatte. Wer hatte die nicht? Danes Flucht war also nichts besonderes, nichts, was dem alten Mann Sorge bereitete. Viel mehr machte er sich darüber Sorgen, ob Dane irgendwo erkannt werden würde. Sein Gesicht war schließlich nicht ganz unbekannt. Auch hier in Junction City kamen die Nachrichten aus Kansas City an. Sein letztes Bild hatte sich erst vor zwei Wochen in einigen Zeitungen befunden, und Ragee war froh gewesen, dass ihn niemand im Krankenhaus mit diesem Amokläufer in Verbindung gebracht hatte. Aber jetzt befand er sich völlig ungeschützt in der Öffentlichkeit, zudem verwirrt und wahrscheinlich gewaltbereit.
Wo Ragee darum bemüht war, seine Fassung zu behalten, tobte Julie völlig aufgelöst durchs Haus. Sie verstand die Zusammenhänge natürlich nicht. Wie auch? Er hatte ihr ja nichts gesagt. Dafür brauchte er jetzt eine verdammt gute Erklärung.
„Was hast du gemacht!“, schrie sie ihren Pflegevater an.
Er versuchte, sie zu beruhigen und fasste sie an beiden Schultern, doch sie schüttelte ihn von sich. „Du hast ihn vertrieben!“, schrie sie weiter.
„Hab ich nicht“, verteidigte er sich. „Gib ihm Zeit. Es ist alles ein bisschen viel für ihn. Du hast so einen schönen Empfang bereitet, dass es ihn überwältigt hat. Hast du nicht gesehen,
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