Das blaue Haus (German Edition)
City. Asher Avenue. Bei Ragee.
Das blaue Haus.
Es war grau, das heißt, eigentlich sollte es hellblau sein, doch die Witterung hatte es grau gefärbt.
Das Dach war schwerlastig mit Schnee bedeckt, ebenso der Vorgarten mit Auffahrt. Die Gardinen waren vergilbt, und an der Eingangstüre hing noch ein verwittertes Herbstgeflecht. Das hatte Julie zum Erntedankfest dort angebracht und Ragee sich so sehr darüber gefreut, dass es heute noch dort hing.
Dane verließ den Mazda wie in Trance. Er taxierte das alte Haus. Es war nicht ganz so, wie er vermutet hatte – aber fast. Dann folgte er den beiden zum Hauseingang, hörte aber nicht deren lebhaftes Plaudern. Selbst wenn einer der beiden mit ihm gesprochen hätte, er hätte es nicht bemerkt. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf dieses Haus gerichtet. Es sah wunderbar aus.
Der alte Mann drehte den Schlüssel zweimal, und der Duft von frischgebackenem Kuchen schwebte ihnen entgegen. Er mischte sich mit dem Geruch alter Möbel, Bücher und Zeitungen.
Julie hatte einen liebevollen Empfang vorbereitet. Im Flur hing ein Transparent:
Willkommen zu Hause
Im Wohnraum war ein gedeckter Tisch mit Schokoladenkuchen und Marzipanplätzchen. Alles war aufgeräumt. Die Unordnung, die Ragee selbst an sich nicht mochte, hatte Julie in stundenlanger Arbeit beseitigt. Sie hatte sortiert, geputzt und geräumt, sodass es wirklich einladend aussah. Ragee freute sich sehr darüber. Er dachte an das Chaos, das geherrscht hatte, als er das Haus zu streichen begonnen hatte. Doch er dachte auch an seine Art von Ordnung, die er selbst erst wieder mühevoll herstellen musste, um sich zurechtzufinden.
„Ich habe euch den Kühlschrank gefüllt und noch einige Sachen für dich gekauft.“ Sie sah Dane an, der im Hintergrund den Flur taxierte, als hätte er noch nie einen Flur gesehen.
Wie lange war es her, als er so etwas gesehen und gerochen hatte? Er sah Sarah, er roch Sarah, er fühlte sie hier in diesem Haus mit all den wunderbaren alten Möbeln. Sie lebte in ihnen.
„Du brauchst einiges mehr, als du anhast.“
Dane hörte Julie nicht. Ragee nahm Julie in den Arm und sagte: „Lass ihn. Er muss sich erst an alles gewöhnen. Du hast es hier wunderbar hergerichtet. Der Kuchen sieht wirklich gut aus. Und der riecht so gut! Ich freue mich. Ich danke dir, Julie, mein Engel.“
Julie spürte die feste Umarmung ihres Pflegevaters und wünschte sich, dass es Alan wäre.
„Du alter Lügner“, sagte sie lachend. „Ich weiß genau, wie sehr du dich über meine Ordnung ärgerst. Aber ich dachte, es macht einen guten Eindruck, und du hast fürs Erste zu tun, um alles wiederzufinden.“
Ragee musste lachen. Sie hatte ja so recht. Er sah kurz dem Zeitungsstapel neben seinem Schreibtisch, auf dem Danes Akte lag. Gottseidank war der Plastikordner, in dem sich sämtliche Artikel befanden, unbeschriftet. Julie hatte wohl nichts bemerkt.
Sie gingen in die Küche, sich um Kaffee und Schlagsahne kümmern, während Dane immer noch am Eingang in Erinnerungen an seine Sarah schwelgte. Wo mochte sie jetzt sein?
Als er wieder zu sich kam, waren Ragee und Julie nirgends zu sehen. Er las das Transparent: Willkommen zu Hause. Er sah den gedeckten Tisch mit dem Schokoladenkuchen und roch den Duft des Kaffees, der im Wohnraum umherschwebte. Dann hörte er ein Flüstern aus der Küche. Unsicher wagte er sich in den Wohnraum und bestaunte die Bücherwände und die vielen alten Petroleumlampen umher. Das Duftpetroleum roch aufdringlich süß. Eine schwere Ledergarnitur war linksseitig platziert, wogegen rechtsseitig die Essgruppe zur Küche stand. Die Wände waren vergilbt, dort, wo sie früher sicher einmal weiß gewesen waren. Nun waren helle Vierecke von einstigen Bildern, die dort einmal gehangen hatten, zu sehen. Rechts neben der Küche führte eine alte steile Holztreppe in das erste Stockwerk. Das Haus war nicht groß, aber es reichte für ein, zwei oder drei Personen.
Der Schnee erhellte den Raum gespenstisch grau. Dane trat näher und fand eine Fotogalerie auf einem alten Sideboard. Da standen Erinnerungen an Ragees einstige Lebensstationen mit Frau und Julie. Shirley Geers lächelte neben ihrem Mann stolz in die Kamera. Beide posierten vor diesem Haus. Es war noch ganz neu und strahlend hellblau. Sie standen neben einem Schild, das am Eingang des Hauses angebracht war und wohl den Mittelpunkt des Bildes darstellen sollte. Kleine Buchstaben schwammen darauf herum und ließen sich auf Anhieb nicht entziffern. Dane ging
Weitere Kostenlose Bücher