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Das blaue Haus (German Edition)

Das blaue Haus (German Edition)

Titel: Das blaue Haus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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vor einem Feuer und dachte an Strom. Ihm wurde kalt. Er hörte das Knistern nicht mehr. Er hörte kein Lachen. Alles war mit dem Strom verstummt. Dann sprudelte es aus ihm heraus. Dinge, die er immer schon gewusst hatte und doch nie wissen wollte und jetzt endlich aussprechen konnte: „Ich habe sie geliebt, ihr vertraut. Sie hat mich im Stich gelassen. Ich wollte das Vertrauen nicht hergeben, habe Drähte gezogen und alles so verdrahtet, dass es für mich wieder gestimmt hat. Ich habe mir ein künstliches Vertrauen aufgebaut, es eben verdrahtet – vorgetäuscht.“
Ragee ließ sich in seinen Sessel nieder. Der Ruß vom Schürhaken verschmutzte die Steinfliesen vor dem Kamin. Das nachgeworfene Holz löste ein aufwendiges Prasseln aus. Die Worte wirkten in sich. Ragee wurde unsicher, ob er das Gespräch hier abbrechen sollte. Es holte Aggressionen in Dane hoch, die er hier und heute noch nicht für angebracht hielt. Doch Dane bestimmte den Fortlauf der Geschichte selbst: „Ich glaube, sie wollte es nicht merken.“
„Wie kommst du darauf?“, fragte Ragee nach. Jetzt war seine Neugier geweckt.
„Sie hat immer so getan, als wenn nichts passiert wäre.“
„Was war denn passiert?“
Dane sah Ragee vorwurfsvoll an. „Ich denk, du hast eine Akte über mich!“
„Hab ich. Aber sie ersetzt nicht deine Gedanken und deine Erlebnisse. Darin stehen nur die Vermutungen von irgendwelchen Journalisten.“
Dane sah wieder in das Feuer, wie es sich durchs Holz fraß.
„Mein Vater hat begonnen, mich mit in die Scheune zu nehmen.“
Darüber war Ragee sehr wohl im Bilde. Aber es stand ihm nicht zu, etwas dazu zu sagen. Als er die Geschichte zu ersten Mal im Herbst letzten Jahres in der Zeitung gelesen hatte, hatte sie ihn zutiefst geschockt. Danach hatte sie ihn wütend und zornig gemacht. Eine nahezu klassische Opfer-Täter-Geschichte. Brisant, aber klassisch. Niemand kümmert sich um das Opfer. Das läuft solange mit seinen konfusen Gefühlen herum, bis es selbst zum Täter wird.
Dane sprang aus dem Sessel. „Was gibt es noch, was du nicht aus der Zeitung weißt?“, fluchte er in das Feuer hinein.
„Die Zeitung lügt. Ich weiß im Grunde gar nichts.“
„Ich lüge auch.“
Ragee blieb ruhig. „Das glaube ich nicht.“
„Woher willst du das wissen!?“
„Es gibt Dinge, in denen man nicht lügen kann. Setz dich.“
Dane setzte sich nicht. „Er hat mich angefasst, Jeff angefasst! Jeff blieb tot! Ich habe überlebt! Ich!“, und er klopfte mit dem Zeigefinger eindringlich auf seine Brust.
Es war raus! Endlich war es raus! Fünfunddreißig Jahre Schweigen und Schuldgefühle brachen aus ihm wie ein Fegefeuer heraus. Er rannte nervös durch das Zimmer und wünschte sich, dies alles nicht gesagt zu haben. Was hatte er sich dabei nur gedacht? Was ging diesen Alten seine Kindheit an – überhaupt alles an?
„Hat deine Mutter das mit deinen Gefühlen nicht bemerkt?“, fragte Ragee.
Dane zog sich in eine Ecke zurück und wollte diese Frage nicht hören. Er sank in die Hocke und weinte. Ragee blieb sitzen. Er sollte ihn jetzt nicht trösten. Er hörte Dane hinter sich wimmern: „Ich glaube, sie wollte es nicht wissen.“
Ragee nickte unbemerkt. Ja, Junge, so war es!
„Sie wollte meine Liebe nicht mehr erwidern – seitdem“, wimmerte er.
„Seit wann genau, Dane? Wann hat sie aufgehört, dir Aufmerksamkeit zu schenken?“
„Seit Kevins Tod.“
„Kevin? Wer war Kevin?“
„Mein Bruder.“
„Sagtest du nicht, dass dein Bruder Jeff hieß?“
„Ich hatte zwei Brüder. Kevin kam auf die Welt, als Jeff schon tot war.“
„Was ist mit Kevin passiert?“, fragte Ragee, obwohl die Frage im Moment zu gewagt war, aber er musste den Zusammenhang der Geschichte verstehen.
Er verstand sie, indem Dane ihm nicht antworten konnte. Er schluckte die Erinnerung an den Tod seines zweiten Bruders mit seinen Tränen erstickend hinunter.
Nach Minuten der Stille hörte Ragee ihn hinter sich flüstern: „Vorher hat sie mich noch ein bisschen geliebt …“ Seine Stimme brach. „Aber danach gar nicht mehr. Ich war schuld. An allem. Ich konnte Kevin nicht beschützen. Mein Vater hat mich in einen Schweinestall gesperrt. Ich konnte nicht helfen. Ich kam nicht über den Verschlag. Ich habe sie enttäuscht.“
„ Wen hast du enttäuscht?“
„Meine Mutter.“
Ragee fehlten die Worte. Deswegen hatte Dane seine Mutter bis in den Tod gepflegt. Er war es ihr schuldig, glaubte er. Mein Gott! Jetzt musste Ragee schlucken und die Tränen, die sich in

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