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Das blaue Haus (German Edition)

Das blaue Haus (German Edition)

Titel: Das blaue Haus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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zu polieren. Das tat er immer, wenn etwas Besonderes anstand und er nicht den Durchblick verlieren durfte.
Danes Ruhe setzte Zeichen. Es sprach leise: „Das letzte Mal habe ich mit Sarah vor dem Kamin gesessen.“
Der Alte nickte.
„Früher mit meiner Mutter.“
Der Alte brummte: „Mmmh.“
„Ich war fünf.“
Das Holz knisterte, als sich die letzte darin verborgene Feuchtigkeit auflöste.
„Danach nie wieder. Wir bekamen Elektroheizung. Der Kamin blieb aus.“
Ein Feuerfunken sprang heraus und fiel auf die davor verlegten Sicherheitsfliesen. Dane schob ihn mit dem Schürhaken wieder zurück ins Feuer.
Es war Ragee nicht recht, direkt am ersten Tag ein so tiefsinniges Gespräch zu beginnen. Er überlegte, ob er Danes Gedanken einfach ausklingen oder ob er nachhaken sollte.
Wieder sprang ein Feuerfunken über, wieder schob Dane ihn zurück.
„Erzähl mir von deiner Mutter“, forderte Ragee ihn schließlich auf. Er konnte noch nicht abschätzen, ob es Sinn machte, Danes Stimmungen sofort zu nutzen oder sie gezielt herbeizuführen. Also wartete er auf seine Reaktion. Würde er weiterreden oder abblocken?
Dane schürte weiter im Feuer herum. „Sie hatte langes dunkles Haar. Es war schön. Abends trug sie einen geflochtenen Zopf. Der glänzte immer so schön.“
„Nur abends?“
„Ja, wenn sie mich ins Bett brachte. Sie sang dann immer.“
„Was sang sie denn?“
„Lieder von Engeln im Himmel.“
„Die mochtest du.“
„Ja.“
Die bessere Welt, dachte Ragee. Die Erde war für Dane in seiner Kindheit die Hölle gewesen. Kein Wunder, dass er sich nach dem Himmel gesehnt hatte. Genau wie seine Mutter.
„Wie trug sie ihr Haar tagsüber?“, fragte Ragee.
„Zu einem Knoten gebunden.“
„Das gefiel dir nicht?“
„Nein, es sah streng und hässlich aus. Sie sagte immer, es sei so praktischer für die Arbeit.“
„Was machte deine Mutter?“
„Sie arbeitete auf dem Feld. Es gehörte meinen Eltern. Sie hatten einen Farmbetrieb mit Mais und Weizen. Da war immer zu tun, zu pflanzen und zu ernten.“
„Als sie dir zum Abend Lieder sang, war das noch vor der Elektroheizung?“
„Ja. – Sie sang sehr schön.“
„Was war noch vor der Elektroheizung?“
„Wir haben manchmal gelacht.“
„Wann?“
„Wenn mein Vater nicht da war. Es gab Tage, da war er mit unserer Ernte den ganzen Tag über weggefahren, um sie gut zu verkaufen. Dann hat meine Mutter manchmal zu Hause gelacht. Und wir auch.“
„Wer ist wir?“
„Mein Bruder Jeff.“
„War er älter als du?“
„Ja. Vier Jahre.“
„Wie alt warst du, als ihr noch manchmal gelacht habt?“
„Vier, fünf.“
„Du erinnerst dich an dein Lachen im vierten und fünften Lebensjahr?“
Dane nickte und harkte sanft in der Glut herum.
An ein Lachen erinnert er sich, dachte Ragee.
„Erzähl noch mehr von den schönen Dingen vor der Elektroheizung.“
„Da ist nicht viel zu erzählen.“
„Versuch es.“
Dane schwieg dazu.
„Du hast deine Mutter sehr geliebt, nicht wahr?“
Dane besann sich. Er reichte dem Alten den Schürhaken, der sich sogleich aufgefordert fühlte, weiterzuschüren. Er übernahm die Arbeit, während Dane sich in das weiche Polster von Shirleys Sessel fallen ließ. Selbst durch die rußenden Flammen roch der Alte die Seife. Er schürte. Draußen fielen leise die Schneeflocken. Die Glut knisterte. Ragee warf Holz nach und sah, wie es Feuer fing.
Dane fühlte das weiche Polster in seinem Rücken. Liebe, dachte er. Liebst du deine Mutter? Sehr? „Wie kann ich das je ablegen?“
„Was willst du ablegen? Die Liebe zu ihr? – Ich habe doch nur gefragt, ob du sie geliebt hast.“
„Natürlich habe ich das!“
Ragee wurde aufmerksam. „Warum regst du dich über diese Frage so auf? Willst du die Liebe zu ihr etwa ablegen?“
„Ich weiß nicht, was ich will.“
„Was steht zwischen dir und deiner Liebe zu ihr?“
„Nichts.“
Ragee dachte an Hans. Wie oft hatte er nichts gesagt und so unendlich viel damit gemeint. Hans war wie ein Apfel gewesen. Man biss in ihn hinein, und er schmeckte wunderbar süß. Doch biss man auf die Kerne, biss man sich die Zähne aus.
„Erzähl mir von der Zeit, als ihr die Elektroheizung bekommen habt. Was hat sich danach geändert?“
Dane druckste herum und überlegte. Die schönen Erinnerungen verblassten, und ein Sturm zog auf. Er fegte durch seine Gefühle und legte seine Stirn in Falten. Was war nach der Elektroheizung? War es dadurch wärmer im Haus geworden? Was ist Strom gegen ein knisterndes Feuer? Er saß

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