Das blaue Haus (German Edition)
chromglitzernde Stoßstange mit seinen Händen, die Spiegel, die Armatur aus Holz und das Leder der Sitze.
„Was sagst du?“, fragte Ragee stolz. „Du bist nicht der Einzige, der auf solche Altertümchen steht.“
„Ich ... ich weiß nicht“, stotterte Dane und fühlte den weichen Lack unter seinen Händen. Wann, zum letzten Mal, hatte er ein solches Fahrzeug gesehen, einen solchen Lack gefühlt?
„Willst du fahren?“
„Was?“, fragte Dane ungläubig. Seine linke Hand lag auf der Kühlerhaube. Er wusste nicht, wie ernst die Frage gemeint war. Dann sah er auf Ragees Armschiene. „Ich habe keine Lizenz“, versuchte er sich dem überwältigenden Angebot zu entziehen.
„Ich schon. Aber du hast zwei gesunde Arme zum Lenken.“ Ragee lächelte immer noch. Sie verstauten ihr Gepäck. Dane zog die Schneeketten auf, und Ragee sah zum ersten Mal, wie geschickt Dane arbeiten konnte. Dann setzte sich der alte Mann in das Fahrzeug, während Dane zögernd seinen Platz auf der Fahrerseite suchte. Er umfasste das mit Leder eingefasste Lenkrad und betastete würdevoll das Holz um den Geschwindigkeitsmesser herum. Ragee reichte ihm den Autoschlüssel, den Dane vorsichtig in das Zündschloss gleiten ließ. Der Wagen sprang nach dem dritten Startversuch an und dröhnte wie ein wildes Tier in der Garage. Ragee musste ihn erst kürzlich poliert haben. Alles glänzte – sicherlich für den Besuch in Heaven. Er war sogar vollgetankt. Mein Gott, dachte Dane, ich wäre Ragee früher oder später begegnet!
Er schaltete unsicher den Automatikhebel und ließ die Corvette langsam und knirschend die Auffahrt hinabrollen. Eine neue Welt fing ihn ein. Es war grandios! Salina, dachte er. Salina, ich komme!
Auch wenn durch den Schnee nur eine geringe Geschwindigkeit möglich war, so genossen sie jede Meile in dem Wagen. Ihre Trübsal von heute Morgen war verschwunden und wurde nun durch den Klang des Motors ersetzt. Das schönste Geräusch überhaupt, wie beide zufrieden feststellten.
„Wie lange hast du die Corvette schon?“, fragte Dane während der Fahrt.
„Ich habe sie neu gekauft. Gefällt sie dir?“
„Ja.“
„Besser als deine?“
„Ja.“
„Du kannst sie dir verdienen. Sie braucht eine besondere Pflege durch eine besondere Hand. Ich habe bis vorige Woche noch keinen richtigen Besitzer gefunden.“
Dane schluckte. Vertrauen, dachte er, verrückt, der alte Mann ist verrückt.
Januar 1997. Salina. Markley Road. Bei Ragee.
Ragees Haus in Salina war dem Haus in Junction City überhaupt nicht ähnlich. Es war ein zweistöckiges Haus aus Stein in moderner Baustruktur. Aber es war hellblau angestrichen. Genau wie das Haus in Junction City.
Das Haus lag weit außerhalb der Stadt in einer gepflegten Straße namens Markley Road. Sie war von weiten Feldern umgeben. Wenigstens das ist geblieben, dachte Dane. Die Fenster waren groß, die Auffahrt breit. Die Spuren von frischen Fußstapfen waren am Eingang zu sehen. Dane dachte erschrocken an Julie, dass sie den beiden womöglich vorausgefahren sein könnte. Ragee beruhigte ihn. Sein Verwalter, Mr. Kahikku, hatte die Heizung hochgedreht, den Strom eingeschaltet und die Wasserleitungen überprüft.
„Was ist mit der Corvette?“, fragte Dane, als sie das Gepäck ins Haus trugen. Ragee reichte ihm den Garagenschlüssel, und Dane erledigte die Unterbringung des Fahrzeuges.
Genau wie gestern betrat er heute wieder ein Haus, von dem er glaubte, es sollte für die nächste Zeit so etwas wie ein Zuhause für ihn werden.
Julie hatte das Haus vor drei Jahren neu eingerichtet, als Shirley verstorben war. Damit hatte es die Vergangenheit der Geers verloren und zeichnete nun den Stil einer jungen zukunftsträchtigen Krankenschwester namens Julie ab. Es war hell und modern.
„Schön“, bemerkte Dane.
„Schöner als Junction City?“
„Anders.“
„Was findest du schöner, hier oder dort?“
„Dort.“
„Ich auch“, sagte Ragee und nickte dabei. „Aber manchmal muss man die weniger schönen Dinge in Kauf nehmen, um eine gewisse Ruhe zu haben.“ Er ließ Dane mit seinem Koffer alleine im Gästezimmer zurück.
Dane ließ sich auf das Bett fallen, das härter als in Junction City war und anders roch. Das ganze Zimmer war anders, eben ein Gästezimmer. Nicht von Julie. Das behagte ihm so sehr, dass er für eine Stunde zufrieden auf dem Bett einschlief und erst wieder wach wurde, als der Duft von frischem Kaffee in seine Nase stieg. Ragee hatte sich erfolgreich um einen kleinen Lunch bemüht:
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