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Das blaue Haus (German Edition)

Das blaue Haus (German Edition)

Titel: Das blaue Haus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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nicht verletzt, zumindest nicht so, dass er blutete. Das war gut, und – das war es also. Er hatte die Lust und die anderen das Vergnügen gehabt, dachte er bitter. Alles war so verflucht anders geworden, nichts funktionierte mehr so wie früher. Was war los? Was war es, das ihn so unüberlegt, so dumm sein ließ? Eines wusste er ganz sicher: Die Lust auf Sex war ihm soeben vergangen. Er erhob sich mühsam in der dunklen Gasse, die nur von einer verschmutzten Laterne notdürftig beleuchtet wurde. Er sah sich um, er war allein. Die Kleidung hatten sie ihm immerhin gelassen. Ein schwacher Trost, doch das hatte wenigstens Perspektiven. Die Finger schmerzten ihm furchtbar. Er wusste nicht, wie lange er hier gelegen hatte. Was er wusste, war, dass sein Schädel kurz vor dem Zerbersten stand, nicht nur in Hinsicht auf den körperlichen Schmerz. Die Kleidung hatte keinen Schaden genommen, auch das war gut. Nur einige wenige Flecken waren zu sehen – Nichtigkeiten. Dane sah zu der verschmutzten Laterne hinauf, die als einziger Zeuge seines lächerlichen Versuchs auf ihn niederleuchtete. Seine Kleidung schenkte ihm keine Wärme mehr. Er zitterte entsetzlich. Eine Gosse, dachte er, da gehörte er hin, mit all seinen Trieben und Fantasien! Das alles geschah ihm recht. Er wollte nicht weinen, wollte es wirklich nicht, doch er weinte.
    Ausgelaugt suchte er nach einem Weg aus der Sackgasse heraus. Die Mauern rings um ihn herum waren hoch und nicht zu überwinden. Er konnte aber auch unmöglich den Weg zurück durch die Bar nehmen. Da fiel ihm eine zweite Tür neben der Bar ins Auge. Es war der Seitenausgang der Küche.
„Ham‘se dich gehabt?“, fragte ein verschmutzter Küchengehilfe. „Mach dir nichts draus. Bist nicht der Erste.“
Dane sah nicht hin. Er suchte sich einen Weg zwischen den dreckigen Töpfen und derben Gestalten, die ihn anzufassen versuchten. Brutal wehrte er jede Berührung von sich ab und ertrug die lästernden Worte bis draußen vor die Tür, wo er sich neben dem Eingang übergeben musste. Sie alle hatten zugeschaut, das wusste er und fühlte sich bei dem Gedanken noch mieser als zuvor. Nichts war geblieben, außer diesem abgrundtiefen Mistgefühl.
Als der Brechreiz endlich nachließ, versuchte Dane die misslungene Reproduktion seiner Vergangenheit von sich zu schütteln, doch er konnte nichts mehr rückgängig machen. Er begann, die Straße entlangzutorkeln und konnte das besoffene Gefühl nicht loswerden; es war nicht nur der Whisky. Er wusste nicht, wohin die Straße ihn führte, auch nicht, was er jetzt tun wollte. Die letzte Stunde – oder waren es mehrere gewesen? – hatte ihm jede Perspektive geraubt. Er erinnerte sich plötzlich an Ragee. Dane blieb stehen. Die Stadt war weit hinter ihm geblieben. Der Schnee hatte sein Haar zerzaust. Er spürte die Kälte nicht einmal mehr.
Verschwommen sah er das Schild einer Bushaltestelle und erfuhr dort die Richtung zur Markley Road, dem Ort, der ihm blieb, um nicht zu erfrieren.
    Sie wären sich längst begegnet, wenn Ragee nicht die Fourth Street hinunter und Dane die Front Street heraufgegangen wäre.
Der alte Mann hatte alle Mühe, sich durch den Schnee zu kämpfen. Je mehr die Kälte an seinen alten Knochen nagte, je mehr wurde es ihm zur Notwendigkeit, Dane zu finden. Er musste hier irgendwo sein, da war sich der alte Mann ganz sicher, und er lugte in jeden Zwischenraum und jede Gasse hinein. Ein Papiertaschentuch war seine einzige, jedoch sinnlose Waffe im Kampf gegen die Schneeflocken auf dem dicken Glas seiner alten Brille.
    Kurz vor Mitternacht war Dane am Ende seiner Kräfte und fiel stolpernd vornüber in den Schnee. Sein Atem ging schwer. Er sah zwischen den Fingern noch Blut kleben. War es etwa Blut aus der Bar? Hatten sie ihn doch verletzt? Er wusste es nicht und rieb mit dem Schnee die Reste weg. Ragee sollte nichts sehen, nichts erfahren.
Er musste versuchen, sich wieder aufzurichten, um weiter zu gehen. Er bemerkte jedoch, dass es ihm nicht mehr möglich war. Nichts in ihm war mehr bereit, ihn weitergehen zu lassen. Ehe er um Hilfe schrie, wollte er lieber sterben.
Dane spürte irgendwann von irgendwoher Hilfe, doch er wusste nicht, dass es sein alter Herr war, der ihm unter die Arme griff und auf die Beine half.
    Beide Männer waren mit einem Taxi angekommen. Es war fast ein Uhr gewesen. Beide waren durchnässt und durchfroren – und Dane kaum bei Bewusstsein. Der Taxifahrer war nett, er half Ragee dabei, Dane ins Haus zu bringen.
„Er

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