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Das blaue Haus (German Edition)

Das blaue Haus (German Edition)

Titel: Das blaue Haus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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ein – mittellos, denn Ragee hatte ihm kein Geld gegeben.
    Die Lichter der Stadt kamen näher. Die Kälte wurde stärker und drängte sich immer mehr unter seine feuchte Jacke. Er rieb sich die Hände und beseitigte mit Schnee noch letzte Reste getrockneten Blutes zwischen seinen Fingern.
Wie gerne wäre er jetzt irgendwo eingekehrt, um ein Glas Gin zu trinken. Gott, wie lange hatte er keinen Gin mehr geschmeckt? Er holte sich wieder seine Mittellosigkeit ins Gedächtnis und verfluchte seinen Wunsch nach Gin.
Dann, kurz vor der Stadt, kroch sie in ihm hoch, die Lust auf Sex. Zum ersten Mal seit Heaven verspürte er wieder dieses Verlangen. So stark, so zehrend, dass sein Schritt langsamer wurde. Die Lichter begannen sich zu drehen, seine Leisten zu schmerzen. Er ging weiter, mitten in das Lichtermeer hinein. Es existierte plötzlich nur noch das Bedürfnis nach Sex, egal, ob mit Mann oder Frau, nur Sex sollte es sein – zur Not auch wild und brutal.
Sein Schritt wurde schneller und hastiger, um den Schmerz zu bannen. Er lief die Seitengassen der Stadt ab und fand nirgends eine Prostituierte oder einen Stricher, nicht einmal einen einzelnen Fußgänger. Er ging dunkle Gefilde ab, konnte aber außer etwas Rotwein von einem verdreckten Bettler nichts bekommen. Es war kalt, einfach zu kalt für Prostitution am Abend. Er musste einkehren – irgendwo und sich dort umsehen.
Musste er das? War es nicht das, was er sich abzugewöhnen versuchte? Später, dachte er und kehrte in eine schwach beleuchtete Szenekneipe ein, mitten in die Gesellschaft Homosexueller.
    *
    Julie saß seit Stunden auf dem Sofa und sah Ragee in seinem Schaukelstuhl zu, wie er schaukelte.
Seit ihrer Ankunft hatte er nicht ein Wort mehr mit ihr gesprochen. Sie hatte sofort gespürt, dass etwas nicht in Ordnung war und auch, dass Alan nicht da war. Zwischendurch hatte sie ihre Koffer in ihr Zimmer gebracht und sie dort notdürftig ausgepackt. Auf ihre Frage, wo Alan denn sei, gab er keine Antwort. Er wusste es ja selbst nicht einmal.
Gut, dachte Julie erbost, dann werde ich mich auf das Sofa setzen und solange warten, bis Ragee wieder mit mir spricht. Das tat sie, und beide machten ihrer Sturheit alle Ehre.
Es war zehn Uhr abends, als sie das Schweigen nicht mehr ertragen konnte und nicht mehr glauben wollte, dass Alan vielleicht nur vorübergehend weg war. Das nämlich hatte sie vermutet; doch ihre Vermutung schwand mit jeder sich fortbewegenden Minute. Sie kochte Kaffee – für sich und Ragee. Sie öffnete eine neue Tüte Taccos, doch Ragee winkte ab. Den Kaffee aber nahm er dankbar an.
Jetzt betrachtete Julie das Gesicht des alten Mannes, bei dem sie groß geworden war. Er war alt geworden. Sie konnte ihm seine sechsundachtzig Jahre nun wirklich ansehen. Die Brille war immer noch kaputt. Sie müsste sich unbedingt bald darum kümmern.
Was war es, das ihn plötzlich so alt aussehen ließ? War es Alan? Er war nicht weg – nicht wirklich, das wusste sie, als sie Ragees altes, müdes Gesicht betrachtete. Es war das Gesicht einer großen Sorge. Er wartete auf Alan. Etwas musste vorgefallen sein, dass ihm große Sorgen bereitete, dass sein Schweigen und ihre unerwünschte Anwesenheit erklärten.
Sie mussten sich gestritten haben.
„Er ist weg, nicht wahr?“, fragte sie vorsichtig, nachdem sie die Ungewissheit nicht länger ertragen konnte.
Ragee schwieg, zuckte mit seinen Schultern und wartete weiter. Er war böse und durcheinander und hatte keine Lust, mit ihr zu reden. Es war lange her, seit er sich das letzte Mal so gefühlt hatte. Damals lebte Shirley noch. Mit Dane veränderte sich wohl vieles.
War es möglich, dass Dane wirklich weg war? Was dann? War es dann nicht seine Pflicht, die Polizei zu alarmieren? Was war mit seinen Worten von Vertrauen und ihn im Zweifelsfalle unbescholten gehen zu lassen? War es Dane, der jetzt das Spiel bestimmte? War es diese absonderliche Fähigkeit, die seine Krankheit ausmachte und Menschen verwirrte, dass sie schließlich selbst nicht mehr wussten, was sie wollten? Ragee hatte immer klare Regeln befolgt. Es sind die Kranken, die das Spiel bestimmen, denn sie haben die Macht, dachte der alte Mann.
„Julie, ich weiß nicht, ob er weg ist. Wir hatten ein großes Missverständnis. Er war recht aufgebracht“, versuchte Ragee schließlich zu erklären. Er sah ein, dass das Schweigen keinen Zweck mehr hatte. Drei Stunden waren mittlerweile vergangen – und Dane nicht wiedergekommen. Dafür saß Julie jetzt auf dem

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