Das blaue Haus (German Edition)
deckte ihn mit einer warmen Wolldecke zu. „Das hast du gut gemacht, mein Junge“, flüsterte die brüchige Stimme des Sechsundachtzigjährigen und strich ihm sanft durch das kräftige Haar.
Januar 1997. Golden/Denver. Bei Sarah.
Sarah Gelton las den Zeitungsartikel vom 23. Januar wieder und wieder und konnte es nicht glauben. Sie konnte nicht glauben, wie die Presse je von ihrer Schwangerschaft erfahren konnte, noch, was die Journalisten mit unmöglichen Worten der Öffentlichkeit mitteilten. Man hatte weder mit ihr gesprochen, noch hatte die Universität British Columbia in Vancouver jemals Kontakt mit ihr aufgenommen. Es waren Lügen – Worte des Profits.
Sarah saß am Esstisch bei ihrer Mutter.
Ihre Mutter hatte diese Reaktion befürchtet, als sie den Artikel heute Morgen als Erste gelesen hatte. Sie hatte es nicht für richtig gehalten, Sarah vor diesem beginnenden Krieg zu schützen. Auch wenn sie das Kind eines Mörders in sich trug und jeden Tag mit viel Übelkeit zu kämpfen hatte, so hatte sie jetzt ganz sicherlich einen noch schwereren Kampf vor sich. Das wusste ihre Mutter, als sie ihr die Zeitung nach dem Frühstück gereicht hatte.
Ihre Mutter schmerzte das alles mehr als sie selbst, das wusste Sarah. Sie würde die Großmutter dieses Kindes werden, und das war schlimmer als alles, was es sonst noch auf dieser Welt gab. Das schmerzte Elisabeth Newshorn am meisten. Sie hatte sich entschlossen, diesen Schmerz nicht alleine ertragen zu müssen. Das war der wahre Grund, warum sie Sarah die Zeitung gegeben hatte.
Mit der Entscheidung, die Schwangerschaft durchzustehen und dieses Baby zu bekommen, hatte Sarah eine schwere Last auf sich genommen, und sie konnte nicht früh genug damit beginnen, gegen die vielen üblen Nachreden zu kämpfen, die ihr zweifellos bevorstanden. Ein Test im Rose Medical Center in Denver hatte ergeben, dass es nicht das Kind von Phil Cammons werden würde, ihrem ersten Mann. Er wurde dort einmal nach einer starken Rötelerkrankung getestet und als zeugungsunfähig diagnostiziert. Es war Danes Baby – und es sollte ein Junge werden.
„Du solltest sie alle verklagen“, unterbrach Elisabeth Newshorn die Apathie ihrer Tochter. „Diese verdammten Ärzte. Es kann nur einer von denen gewesen sein – wahrscheinlich für viel Geld.“
Sarah legte die Zeitung zusammengefaltet neben ihren Frühstücksteller. „Und was hat das alles für einen Sinn?“, fragte sie niedergeschlagen.
„Du lernst zu kämpfen und dich zu wehren.“
„Wofür?“
„Für dein Kind. Es wird die Hölle auf Erden haben. Du musst ein stabiles Rückrad bekommen, damit dein Junge es auch bekommt“, sagte Elisabeth Newshorn und verfluchte den Tag, an dem Sarah sich entschieden hatte, das Kind zu behalten.
„Vielleicht ist es ein Fehler, das Kind zu behalten“, sagte Sarah gleichgültig und dachte an Dane. Wie alt mochte er zu der Zeit gewesen sein, als das Bild in der Zeitung von ihm gemacht wurde? Er sah noch so ... unverbraucht aus. Es musste lange her sein.
„Sarah, es ist zu spät, um es wegmachen zu lassen“, redete ihre Mutter auf sie ein und hasste sich für ihre eigenen Worte. Sie konnte Sarah unmöglich sagen, wie sehr sie das Kind jetzt schon verabscheute. Er würde ihre Familiendynastie vernichten!
„Ja, wie eine Vorsehung“, hauchte Sarah. Sie wollte kein Kind von ihm, als er noch lebte. Jetzt bekam sie eins von ihm, als er tot war. Es war mehr als verrückt. Es war Dane, wie er immer schon alle Tabus gebrochen hatte – und auch jetzt noch damit seine Spuren hinterließ.
Sarah schüttelte traurig den Kopf und sah auf ihren Bauch, der eine kleine Wölbung im Sitzen zeigte. Kleiner Dane, dachte sie und wusste nicht, ob sie sich fürchten oder freuen sollte. Zum Freuen blieb ihr wenig Zeit, dafür sorgte ihre Mutter schon.
Elisabeth setzte sich mit einer heißen Kanne Kaffee an den Tisch. Sarah sah auf, schob ihre leere Tasse hin und zog sie gefüllt wieder zu sich heran – schwarz, ohne Zucker und Milch. Das hatte sie von Dane abgeschaut und war stets dabei geblieben. Sie blies in den heißen Dampf.
„Wann kriegst du das Apartment?“, fragte ihre Mutter und blies ebenfalls in den Dampf ihres Kaffees.
„Nächste Woche. Dann ist alles frisch gestrichen.“
„Du wirst uns fehlen, Kind.“
Es wird gut für mich sein. Ich muss viel nachdenken. Das kann ich nicht bei euch. Ich brauche Ruhe. Ich habe ja das Baby. Bin also nicht ganz allein.“
„Hast du es schon gespürt?“
Sarah sah wieder auf
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