Das blaue Haus (German Edition)
ihn herum. Er war plötzlich da, sobald er die Augen schloss. Er war rot – rot wie sein Blut. Eine Warnung?
Dane öffnete wieder die Augen. Er wollte den Punkt nicht sehen. Er sah in den Himmel, bis seine Augenlider erschlafften und er die Augen wieder schließen musste. Wieder sah er den Punkt, der das Geräusch des Sturmes verbannte, alles nahm, was eben noch wunderschön gewesen war. Er wurde plötzlich größer und formte sich zu Buchstaben. Ein Wort, das Dane nie wieder lesen wollte. Er riss die Augen auf, und jetzt war das Wort dort, wo er es nicht mehr verbannen konnte. Es hatte sich in sein Ge-dächtnis gefressen.
Wahrheit , las er. „Verschwinde“, zischte er, riss seinen Körper herum und drückte sein Gesicht in den Schnee.
Die Wahrheit verschwand nicht, sosehr er sie auch zu ignorieren versuchte. Sie zog plötzlich weitere Worte hinter sich her, die er genauso wenig lesen wollte. Er konnte sie nicht verscheuchen und ließ sie letztendlich widerwillig in sich hinein. Du wirst beiden die Wahrheit sagen und ihnen jeden weiteren Annäherungsversuch verbieten. Unter Umständen werden sie dich wegschicken. Aber es ist kalt, kalt genug, um zu erfrieren, flüsterte ihm jemand zu. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.
Dane begann plötzlich zu frieren. Die Worte hatte ihm jede Absicht und Kraft, jetzt sterben zu wollen, genommen, jedes Gefühl für das Einssein mit der Kälte. Wo sie eben noch so wunderschön gewesen war, zerrte jetzt der Wunsch nach Wärme an ihm, auch wenn sie nicht so einfach zu beherrschen war wie die Kälte.
Wahrheit, dachte er und erhob mühsam seinen ausgekühlten Körper. Er sah in das Innere des Hauses, die Wolldecke von Ragee, die Wärme. Er klopfte sich den Schnee von der Kleidung, betrat wieder das Wohnzimmer, schloss die Terrassentür und ließ sich wenige Minuten später oben in sein Bett fallen, wo er unversehens einschlief.
Um acht Uhr hörte er Ragee unten wirbeln, Geschirr klapperte, Besteck schepperte.
„Hast du deine Übung gemacht?“, fragte Ragee, als er Dane oben an der Treppe sah.
„Nein, habe ich vergessen.“
„Willst du sie nachholen?“
„Wenn du es so willst.“
Junge!, dachte Ragee, warum machst du alles nur so schwierig? Aber okay. „Auf was freust du dich heute?“ Ragee sah die Treppe hinauf und hoffte auf eine anständige Antwort. Er irrte sich.
„Auf 's Erfrieren“, antwortete Dane provokativ.
Ragee holte tief Luft. Hatte er ihm nicht genug Freundlichkeit an diesem Morgen entgegengebracht? Musste er sich so etwas dafür anhören?
„Dane, ich bitte dich! Du nimmst das alles nicht ernst genug. Wie willst du dich ändern, wenn du mich nicht ernst nimmst?“
„Es ist mir bitter ernst. Ich bin dabei, mich zu verändern. Es wird heute nichts Gutes geben, auf das ich mich freuen kann. So einfach ist das.“ Mit diesen Worten kam Dane die Treppe hinunter und verschwand im Bad. Kurze Zeit später hörte Ragee die Dusche, und er wusste nicht, dass Dane nur darunter stand, um die passenden Worte für ihn zu finden.
Dane beendete das Duschen, als Ragee das Frühstück fertig hatte. Julie schlief noch. Sie war ein Langschläfer, das wusste Ragee. Sie stand selten vor zehn auf, wenn sie nicht zur Arbeit musste. Ragee sah auf die Uhr, halb neun. Genug Zeit, um mit Dane zu reden.
Als Dane ihm endlich gegenübersaß, waren ihm die Worte wieder entfallen, die er sich so mühsam unter der Dusche erarbeitet hatte. Nicht ein einziges Wort war ihm im Gedächtnis geblieben. Gott, wie schwer war doch die Wahrheit!
Er schwieg benommen. So eröffnete Ragee das erste verheißungsvolle Gespräch: „Ich habe dich gestern Abend noch beobachtet, wie du gekämpft und gewonnen hast. Ich muss dich beglückwünschen. Du zeigst große Erfolge mit dir.“
Dane sah auf. Ihm war zu übel, um zu antworten. Er wusste, dass Ragee sicherlich nicht die Sache mit Julie meinte. Er hatte allem Anschein nach nichts mitbekommen.
„Du warst heute schon im Schnee?“, fragte Ragee nach Minuten betretenden Schweigens. Dane nickte. Jetzt war er dran: „Um sechs.“
„Um was ? Was ist denn in dich gefahren? Verlagerst du deine Lust?“
„Es war danach.“ Ja! Weiter!
„Nach was?“
„Ich habe in dieser Nacht wieder mit Julie geschlafen.“
Jetzt war die Wahrheit raus!
Dane sah den alten Mann scharf an. Was sollte ihm schon passieren? Es passierte ja auch nichts, wenn Ragee ihm die Wahrheit ständig vor die Füße schmiss – einfach so, ohne Vorwarnung.
Ragee hatte Kaffee im Mund. Es war ihm
Weitere Kostenlose Bücher