Das blaue Haus (German Edition)
nicht mehr möglich, ihn hinunter zu schlucken. Er spuckte ihn über den Tisch und verdarb damit seinen Speck. Dane schob seinen Teller hinüber. „Du kannst meinen haben. Ich habe keinen Hunger. Ich mag auch keinen Speck.“ Er sah den alten Mann immer noch an. So war das eben mit der Wahrheit. Man kann sie nicht immer vertragen.
Ragee tupfte sich den Mund mit einer Papierserviette ab. Er musste unbedingt seine Brille polieren, bevor er den Überblick verlor und griff nach einer neuen Serviette. „Welche Entschuldigung ist dir im Bad dazu eingefallen?“, fragte er böse, während er über das dicke Glas rieb.
„Ich brauche keine Entschuldigung. Ich habe ja die Wahrheit dafür.“
„Die Wahrheit“, wiederholte Ragee und setzte seine Brille wieder auf. „So, die Wahrheit. Und sonst hast du nichts?“
„Ich habe eine Erklärung dafür, aber ich gehe mal davon aus, dass sie dich herzlich wenig interessiert.“ Er gestikulierte dem Alten, er könne sein Frühstück essen, Ragee winkte jedoch böse ab.
„Lass deine Erklärung mal hören. Vielleicht ist sie sogar amüsant für mich.“
Sie sahen sich an. Etwas begann, sich mit der Erklärung zu verändern. Ragee hatte erst Mühe, seine Wut im Zaum zu halten, doch dann hörte er etwas, das ihn umstimmte. Dane hatte soeben begonnen, eine unangenehme Wahrheit auszusprechen. Ja, er hatte es geschafft!
„Hast du es denn nicht gemerkt – mit Julie?“, fragte Ragee.
„Erst, als ich wach war, ich meine richtig wach – heute Morgen gegen sechs. Ich habe mich in den Schnee gelegt und gewartet.“
„Auf was?“
„Auf das Erfrieren. Doch stattdessen schlich sich eine Lösung in meine Gedanken.“
„Du bist im Schnee zu einer Lösung gekommen?“
„Ja. Die Wahrheit. Ich wollte es dir erzählen und danach erfrieren.“
Ragee nickte – danach erfrieren.
„Dir zu vertrauen ist schwer. Schwerer, als ich dachte“, sagte der alte Mann und schob Dane den Frühstücksteller wieder zurück. „Ihr seid erwachsen. Ich kann dir nichts vorschreiben. Ich freue mich jedoch, dass du so ehrlich zu mir bist, hoffe ich zumindest. Ich will dir helfen, aber ich bin irgendwie am Ende. Du baust dir ständig neue Steine in den Weg, die ich nicht mehr wegtragen kann. Was soll ich mit dir nur tun? Ist Julie oben?“
Dane sah auf sein kaltes Frühstück. „Ich schätze, ja. Soll ich gehen?“
„Gehen? Wohin? Du hast wieder einmal nichts verstanden! Du bist Julie eine Erklärung schuldig. Du kannst dich jetzt nicht einfach davonschleichen und sie so zurücklassen. Jetzt musst du eben die Konsequenzen tragen. Du musst es ihr sagen. Ich denke mal, dass Ihr wieder nicht verhütet habt. Gott!“ Ragee wurde immer fassungsloser. Dann traf er eine Entscheidung: „Ich werde heute mit dem Bus in die Stadt fahren. Wenn ich abends wiederkomme, habt ihr alles geregelt. Einer ist weg – Julie oder du. Zusammen werde ich euch nicht mehr ertragen wollen. Ich bin zu alt dafür.“ Ragee erhob sich und machte keinen Hehl aus seiner Wut. Er zog sich die Schuhe an, den Mantel über und verließ ohne Frühstück und Kaffee das Haus. Ein bitterer Tag für den Sechsundachtzigjährigen begann.
Dane hätte seine Wut gerne mit einem Faustschlag auf dem Tisch platziert. Jetzt hatte er es tatsächlich geschafft, Ragee aus seinem eigenen Haus zu jagen!
Um elf Uhr erwachte Julie gänzlich gegen ihren Willen, denn sie schwebte noch in seiner Zärtlichkeit von dieser Nacht und wollte nicht davon loslassen. Diese Nacht hatte alle Missverständnisse beseitigt. Alan hatte sie wieder geliebt, so heiß, so gierig und leidenschaftlich, dass sie unmöglich einen Trugschluss daraus ziehen konnte. Sie würde die größte Liebesgeschichte der letzten Jahre unter ihre Kolleginnen bringen. Weißt du noch, dieser Alan Gampell, der so unglaublich gut ausgesehen hat?
Sie sah auf die Zeitung, die neben ihrem Bett auf dem Boden lag und dachte an diese Sarah Gelton. Was mochte sie wohl dabei gespürt haben, als sie dieses Baby empfangen hatte? Julie kletterte verträumt aus ihrem Bett und faltete die Zeitung zusammen, die knisternd im Papierkorb verschwand. Dann stellte sie sich vor den großen Spiegel an ihrem Schrank und betrachtete wohlwollend ihren jugendlichen straffen Körper. Ihre Hände umschlossen ihre Brüste, wie Alan es in der letzten Nacht unzählige Male getan hatte. Sie wiegte ihren Körper hin und her und zog geschmeidig ihren hellblauen Morgenmantel über.
Dane hörte sie die Treppe hinunterschleichen und sah nervös
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