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Das blaue Mädchen

Titel: Das blaue Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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wird jedes Mal schlecht, wenn ich es auch nur von weitem sehe.«
    »Ich kann nichts für sie tun«, sagte Marlon. »Nicht, solange sie da ist, wo sie ist.«
    »Solange sie... Junge, du wirst dich doch nicht zu etwas Unüberlegtem hinreißen lassen?«
    »Wir könnten sie nicht hier verstecken, oder?«
    »Selbst wenn, Marlon, was wäre das für ein Leben? Ein junges Mädchen, das sich weder draußen noch am Fenster blicken lassen darf! Wir müssten unsere Freunde belügen und würden jedes Mal zusammenzucken, wenn jemand an der Tür wäre.« Sie stockte. »Mein Gott, es ist dir wirklich ernst mit ihr, ja?«
    Marlon antwortete nicht. Das Bild, das seine Mutter gezeichnet hatte, ließ ihn die ganze Ausweglosigkeit spüren.
    »Eigentlich habe ich es von dem Moment an gewusst, als ich die Fotos gesehen habe. Und jetzt sehe ich es an deinen Augen.« Sie nahm seine Hand. »Ich wollte, ich könnte etwas für euch tun.«

    Sie hatten Miri aus Janas Zimmer geholt und sie fortgebracht. Miri hatte sich verzweifelt gewehrt. Sie hatte die Arme nach Jana ausgestreckt und sie mit einem Ausdruck angesehen, den Jana nie vergessen würde. Dann hatte sie geschrien und Jana hatte sich die Ohren zugehalten, noch lange nachdem nichts mehr zu hören gewesen war.
    Mit zitternden Händen zog sie ihr Tagebuch unter der Wäsche hervor. Sie musste sich beruhigen! Schreiben! Nachdenken!
    Aber sie konnte kaum erkennen, was sie schrieb. Alles verschwamm ihr vor den Augen.
    Tränen tropften auf das Papier und ließen graue, wellige Flecken wachsen.
    Ruhig. Ruhig!
    Worte finden. Aufhören zu weinen. Nach einem Ausweg suchen.
    Nur wenn sie überlegt handelte, konnte sie darauf hoffen, Miri besuchen zu dürfen. Sie musste La Lune entgegenkommen.
    »Eine Mittelohrentzündung«, hatte La Lune gesagt. »Das ist eine häufige Krankheit bei kleinen Kindern. Wir werden bei Miri keine Ausnahme machen. Sie wird sich in ihr eigenes Bett legen und dort wieder gesund werden.«
    Ich habe überreagiert, dachte Jana. Ich bin mit den Nerven herunter.
    Aber etwas sagte ihr, dass ihre Angst um Miri berechtigt war.
    Krankheiten sind Hilfeschreie verstörter Seelen. Man behandelt sie, indem man die Seelen wieder gesund macht.
    Kräuter, Salben, Essigumschläge, warmes Öl, Ingwer mit Honig. Gebete. Rituale. Und La Lunes heilende Hände.
    Der Glaube an die Mondheit macht uns stark und widerstandsfähig.
    Und wenn man krank wurde, war das ein Zeichen dafür, dass der Glaube unzureichend war.
    Jana erinnerte sich daran, wie sie sich als Kind für jeden Schnupfen geschämt hatte. War ihre Liebe zur Mondheit nicht groß genug? Stand ihr Glaube auf wackligen Füßen?
    La Lune an ihrem Bett, als Jana einmal eine Grippe gehabt hatte. Ihre Hände auf Janas heißer Stirn. Der beißende Geruch des Ingwers. Das Würgen in der Kehle. Und dann La Lunes Stimme. Die Worte, mit denen sie Jana getröstet hatte.
    Und dann wurde Jana nach und nach wieder gesund. Die Selbstzweifel hörten auf. La Lune hatte alles ins Lot gebracht.
    Jana verstaute das Tagebuch unter der Wäsche. Sie ging in den Waschraum, wusch sich das Gesicht und machte sich auf den Weg zum Abendgespräch. Sie würde mit La Lune reden und sie bitten, Miri besuchen zu dürfen. Sie musste nur die richtigen Worte finden.

16
    »Klar«, sagte Marsilio. »Komm vorbei. Soll ich Tim fragen, ob er auch Zeit hat? Dann machen wir zu dritt einen drauf.«
    »Die drei Musketiere«, sagte Marlon lächelnd.
    »Einer für alle und alle für einen«, antwortete Marsilio prompt.
    »Wir drei gegen den Rest der Welt.«
    »Im Auftrag der Königin«, sagte Marsilio. »Beeil dich.« Und er legte auf.
    Wie oft sie diese Losung ausgesprochen hatten. Früher in kindlichem Ernst, dann in pubertärem Trotz. Den Rest der Welt hatten sie nicht besiegt, aber sie hatten nicht aufgehört, es zu versuchen.
    Marlon zog die gesteppte Jacke über. Gegen Abend wurde es schon ziemlich frisch und eine Erkältung konnte er sich nicht leisten. Es gab die Begabten und die Fleißigen und zu der ersten Gruppe gehörte er leider nicht. Er musste sich sein Wissen hart erarbeiten und wurde durch Fehlzeiten in der Schule jedes Mal zurückgeworfen.
    Als er auf den Hof trat, sah er, dass es angefangen hatte zu nieseln. In den kleinen Stallfenstern schimmerte schon Licht. Ab jetzt würden die Tage rapide kürzer werden. Er setzte den Helm auf und fuhr los.
    Beim Waldweg schlug sein Herz wieder schneller. War es wirklich erst ein paar Stunden her, seit er Jana gesehen hatte?

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