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Das blaue Siegel

Das blaue Siegel

Titel: Das blaue Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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den Schenkeln des Mädchens gestorben, das sie vor nicht allzu langer Zeit so grausam verprügelt hatte. Die richtige Taube würde sie finden, denn die Schläge waren mit Namen versehen; aber könnte sie die Botschaft an ihrem Bein befestigen? Sie hatte es oft gesehen, es aber nie selbst getan. Zuerst würde sie auf alle Fälle den Vogel brauchen und ging aufs Dach hinauf, um ihn einzufangen. Als er endlich in einem seidenen Tuch lag und aufgehört hatte, sich zu wehren, als sie ihn gerade hinuntertragen wollte, sah sie, dass im Hof das Licht einer Laterne aufflammte. Nun musste alles sehr schnell gehen.
     

136.
     
    »Na, Gentlemen, wie weit sind Sie mit Ihrer Leichenfledderei?!« , begrüßte Sir Edward Belcher seine ranghöchsten Offiziere. Er hatte es sich hinter den Journalen gemütlich gemacht, trug eine Art Morgenmantel über der Uniform, dazu riesige Fellstiefel und eine Nachtmütze aus rotem Samt. Er erwartete offenbar keine Antwort und gab ihnen auch keine Gelegenheit dazu.
    »Ich lese hier«, sagte er, »dass dieser Mann«, er zeigte mit seiner klobigen Kirschholzpfeife auf John, »wegen, lassen Sie es mich zitieren, damit ich keine Fehler mache: wegen unzüchtigen Verhaltens eingesperrt war. Leider wird dieses Verhalten hier nicht näher spezifiziert. Also? Wie steht’s damit? He?«
    »Es war eher eine Dummheit«, begann McClure vorsichtig, aber der Admiral schnitt ihm das Wort ab.
    »Die Beurteilung überlassen Sie gefälligst mir, Commander! Also, was hat er getan?«
    »Er war im Besitz einiger unzüchtiger Bilder«, versuchte es nun McClintock, aber Belcher ließ auch den Schotten nicht ausreden.
    »Was für Bilder? Und warum unzüchtig? Spucken Sie’s aus, wir sind doch hier nicht im Mädchenpensionat!«
    »Fotografien von Huren, Sir! Schmutziges Zeug«, sagte McClintock.
    »Fotografien von Huren, schmutziges Zeug«, echote Belcher leise und sah John dabei so angewidert an, als sei irgendein schleimiges Kriechtier unter den Absatz seines Stiefels geraten. »Und wo hatte er die her?«
    »Käuflich erworben, Sir«, log John seinem Oberkommandierenden mitten ins Gesicht, »in einem Bordell auf Barbados!« Niemand korrigierte ihn. Der Junge stand, so stramm er nur konnte, und stieg durch beides, Lüge und Haltung, sogar in McClintocks Achtung wieder ein wenig.
    Belcher aber schien vor Wut zu kochen und sagte nur leise: »Wenn Sie hier noch mal Ihr dreckiges Maul aufmachen, lasse ich Sie aufhängen. Hier wird nicht mit Ihnen gesprochen, nur über Sie! Und?« Er wandte sich wieder an seine Offiziere.
    »Er hat diese Bilder an seine Kameraden vermietet, Sir«, sagte Kapitän Kellett. »Und dabei gab es dann Streit …«
    »Wie, vermietet?«, fragte Belcher verständnislos.
    »Nun, er hat sie ihnen gegen Entgelt für eine kurze Zeit überlassen, Sir!«, antwortete McClure trocken.
    Jetzt hatte der Admiral es verstanden und funkelte John Gowers so hasserfüllt an, dass McClure ernsthaft um das Leben des Jungen fürchtete. Dann aber murmelte Belcher nur noch verachtungsvoll: »Noch nie da gewesen! Ein ganz Schlauer! Und Sie haben ihn eingesperrt?«, fragte er Kellett.
    »Jawohl, Sir.«
    »Für zwei Wochen?«
    »Jawohl, Sir.«
    »Und Sie meinen, das reicht?«
    »Sir?«
    »Ich sag Ihnen was, Gentlemen«, Belcher setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch, den man unter erheblichen Mühen von der Assistance herbeigeschafft hatte, und nahm Papier und Feder zur Hand, »derart schmutzige Kreaturen gehören beseitigt, von der Erde vertilgt!« Er lachte hämisch, als die Kapitäne sich fragten, wie ernst diese Äußerung wohl gemeint war. »Aber da wir nicht Gott sind«, an dieser Stelle verwandelte er sein Lachen gekonnt in ein Grinsen, »können wir ihn nur aus der königlichen Marine entfernen! Ich verfüge also«, die Feder kratzte über das Papier, »dass er unehrenhaft aus dem Dienst Ihrer Majestät Königin Viktorias entlassen und sein Name aus der Stammrolle und allen Schiffsregistern gestrichen werden soll.«
    Die Anwesenden waren perplex, und Belcher genoss das, und nur um seinen Triumph bis zur Neige auszukosten, wandte er sich nun doch noch an John: »Hören Sie das, Sie Lump, Sie wertloser Haufen Charakterscheiße: Sie sind raus! R, A, U, S, raus! Und Ihre Lay werden sich die anderen teilen!«
    »Sir«, protestierte McClure, »er ist im Grunde ein guter Mann …«
    »Ein wertloser Haufen Charakterscheiße«, freute sich Sir Edward an der einmal gelungenen Formulierung.
    »Er hat sich bis zu diesem

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