Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das blaue Siegel

Das blaue Siegel

Titel: Das blaue Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
Vom Netzwerk:
Vorfall mehrfach ausgezeichnet!«
    »Tja, so tief kann man fallen, Commander«, sagte der Admiral lauernd.
    »Ich bestehe darauf, dass ihm zumindest seine Heuer für die letzten vier Jahre ausgezahlt wird.«
    Belcher schürzte die Lippen und kratzte sich am Kinn. Sein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn rang mit seiner viktorianischen Moral. Schließlich nickte er und schrieb etwas nieder. »Genehmigt«, sagte er und fügte mit einem fast schelmischen Lächeln hinzu: »Von irgendwas muss er ja auch seine Passage nach England bezahlen!«
     

137.
     
    Gowers war froh, dass Ishrat die Laterne trug. Zwar war er ziemlich sicher, dass niemand auf sie schießen würde, aber wenn, wäre er jedenfalls nicht das erste Ziel. Sie schlüpften unter einem der braunen Vorhänge hindurch in das Badehaus, und der Investigator untersuchte kurz die hier liegenden Leichen. Sie waren sämtlich unbekleidet und hatten offenbar bis zuletzt miteinander geschlafen. Das grausige Bild entsprach ziemlich genau seinen Vorstellungen von einer römischen Orgie, mit einer wesentlichen Ausnahme: Es gab hier keine alten Männer, die seiner Meinung nach unverzichtbar zu einer römischen Orgie gehörten.
    Keiner der Toten war älter als achtzehn, vielleicht zwanzig geworden. Sie hatten keine äußeren Verletzungen, also hatte ein Gift sie getötet. In ihren Gesichtern war kein Schmerz, kein Widerstand: Sie hatten all das aus freien Stücken getan. Gowers schüttelte angewidert den Kopf. Wer oder was konnte so junge Menschen in solchen Wahnsinn treiben? Er schob einem sehr hübschen Mädchen das lange schwarze Haar aus dem Nacken und sah das Siegel von Gwalior, dunkel, frischer als bei den älteren Mördern in Kanpur und Benares. In diesem Moment rundete sich das Bild einer langen, sorgfältig geplanten Rache in seinem Geist, und etwas, das Thomas Coryate gesagt hatte, fiel ihm ein. Hier lag das Rudel. Aber wo war die Wölfin?
    Ishrat winkte ihn zu der Treppe, die diese süßlich duftende Schädelstätte mit dem blauen Haus verband. Sie hatte im Inneren etwas gehört, aber in mehreren Räumen, die sie vorsichtig durchquerten, fanden sie nichts Lebendiges; allerdings auch nichts Totes mehr. Erst in einem großen Salon an der Frontseite, zur Chitpore Road hin, entdeckten sie schließlich die Ursache: Die Bastmatten, mit denen die Fensteröffnungen verhängt waren, bewegten sich in den ersten heftigen Stößen des Sommermonsuns. Im Innern des blauen Hauses aber blieb die Luft warm und stickig.
    Als Ishrat in einige der benachbarten Räume hineinleuchtete und Gowers im Dunkel des Salons zurückließ, bemerkte er einen schwachen Lichtschein an der Decke, der unmöglich von ihrer eigenen Laterne herrühren konnte. Im zweiten Stock musste eine Kerze oder eine weitere Opferschale brennen. Langsam gingen sie eine geschwungene Treppe hinauf; etwas zu groß für das Haus, wie das Haus etwas zu groß für Charlie Mordaunt gewesen war. Am Ende der Treppe fanden sie eine nur nachlässig geschlossene hohe Flügeltür, die zur Veranda hinausführen musste.
    Mit einem Ruck stieß Gowers diese Tür auf und sah eine dunkle Gestalt, eine bloße Silhouette auf dem Boden hocken, die der Tür den Rücken zudrehte und offenbar mit irgendetwas in ihrem Schoß beschäftigt war. Ishrat betrat jetzt den Raum, und ihr Licht machte aus der Silhouette eine Frau in einem dunkelblauen Sari, die sich auch jetzt nicht umdrehte, aber eindeutig noch lebendig war.
    »Raheema Raja Sahib, Prinzessin von Gwalior?«, fragte der Investigator.
    »So wurde ich lange Zeit nicht genannt«, antwortete die Frau auf dem Boden mit einem seltsamen Zischen, das Gowers nicht einordnen konnte. War irgendetwas mit ihren Stimmbändern nicht in Ordnung? »Sie sind der amerikanische Detektiv, nicht wahr?«, war die seltsame Stimme erneut zu vernehmen.
    »Investigator«, sagte Gowers müde. »In Amerika sagen wir: Investigator.«
    »Haben Sie keinen Namen?«
    »Haben Sie kein Gesicht?«
    »Nein«, sagte die Prinzessin von Gwalior, erhob sich aber dennoch umständlich, als könnte sie ihre Hände nicht gebrauchen, vom Boden und drehte sich zu den beiden Eindringlingen um. Aber mehr als ihre dunklen Augen zeigte sie auch jetzt nicht von ihrem Gesicht, das von einem entweder dunkleren oder feuchten Tuch bedeckt war.
    »Mein Name ist John Gowers«, sagte der Investigator und fixierte dabei das kleine Bündel, das sich in den Händen der bösen Absicht zu bewegen schien. »Was ist das?«, fragte er und wich instinktiv

Weitere Kostenlose Bücher