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Das blaue Zimmer

Das blaue Zimmer

Titel: Das blaue Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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nicht recht in ein geordnetes Familienleben, und was noch irritierender war, in seiner Gegenwart fügte Vicky sich auch nicht. Sie sprach anders, sie lachte anders.
    Am Silvesterabend veranstalteten sie eine kleine Party, und Tom war auch eingeladen, aber Vicky behandelte ihn von oben herab, und Tom war offenbar sehr gekränkt. Toby fand ihr Benehmen ekelhaft. Er hatte Tom sehr gern und konnte es nicht ertragen, ihn so bedrückt zu sehen, und als der gräßliche Abend um war, sagte er es seiner Mutter.
    „Ich weiß genau, wie dir zumute ist“, erwiderte seine Mutter, „aber wir müssen Vicky zugestehen, daß sie ihr eigenes Leben lebt und ihre eigenen Entscheidungen trifft. Sie ist jetzt erwachsen, sie kann sich ihre eigenen Freunde aussuchen, ihre eigenen Fehler machen, ihre eigenen Wege gehen. Das ist in einer Familie ganz normal.“
    „Ich will keine Familie mit Vicky, wenn sie so gräßlich ist.“
    „Das sagst du vielleicht jetzt bloß so, aber sie ist und bleibt deine Schwester.“
    „Ich kann Philip nicht ausstehen.“
     
     
    Der unausstehliche Philip verschwand jedoch zum Glück aus Vickys Leben. Sie lud ihn nicht wieder nach Hause ein, und all mählich wurde sein Name in ihren Erzählungen durch andere ersetzt. Vickys Familie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, und alles ging wieder seinen gewohnten Gang, nur nicht für Tom. Seit jenem Abend hatte seine Beziehung zu Vicky einen Knacks bekommen, und Tom kam nicht mehr ins Haus.
    „Nein, Mrs. Sawcombe steht gottlob nicht allein da“, sagte Mr. Harding. „Tom ist ein braver Kerl.“ Er sah auf seine Uhr und stand auf. „Ich muß los. Danke, daß du’s uns gesagt hast, Jemmy.“
    „Tut mir leid, daß ich eine traurige Nachricht überbringen mußte“, erwiderte Jemmy und stieg in seinen kleinen roten Postlieferwagen, um die Neuigkeit in der übrigen Gemeinde zu verbreiten. Tobys Vater fuhr mit dem Auto ins Büro. Vicky ging nach oben, sich anziehen. Toby und seine Mutter blieben allein am Tisch zurück.
    Er sah sie an, und sie lächelte, und er sagte: „Ich hab noch nie einen Freund gehabt, der gestorben ist.“
    „Früher oder später erlebt das jeder einmal.“
    „Er war erst zweiundsechzig. Er hat’s mir vorgestern gesagt. Das ist nicht alt.“
    „Ein Herzanfall ist eine komische Sache. Wenigstens war er nicht krank oder gebrechlich. Er hätte es gehaßt, bettlägerig und auf seine Familie angewiesen zu sein – allen eine Last. Wenn jemand stirbt, Toby, mußt du an die guten Dinge den ken, dich an die schönen Zeiten erinnern und dafür dankbar sein.“
    „Ich bin nicht dankbar, daß Mr. Sawcombe tot ist.“
    „Der Tod ist ein Teil des Lebens.“
    „Er war erst zweiundsechzig.“
    „Möchtest du Eier mit Speck?“
    „Will ich nicht.“
    „Was möchtest du denn?“
    „Weiß ich nicht.“
    „Magst du nicht ins Dorf gehen und David fragen, ob er mit dir spielen will?“ David Harker war Tobys Ferienfreund. Sein Vater war der Wirt der Dorfkneipe, und manchmal bekam Toby eine Brause oder eine Packung Chips geschenkt.
    Toby überlegte. Es war vielleicht besser als nichts. „Ist gut.“ Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf. Er hatte ein schrecklich beklemmendes Gefühl in der Brust, als hätte je mand sein Herz verwundet.
    „… und sei nicht zu traurig wegen Mr. Sawcombe. Er würde nicht wollen, daß du traurig bist.“
     
     
    Er ging aus dem Haus und den Feldweg entlang. Zwischen dem Weg und der Kuhweide, die zu Mr. Sawcombes Bauern hof gehörte, lag eine kleine Koppel, auf der Vicky früher ihr Pony gehalten hatte. Aber das Pony gab es längst nicht mehr, und Tobys Vater hatte Mr. Sawcombe das Weideland für Mrs. Sawcombes vier Jacob-Mutterschafe verpachtet. Sie waren ihre Lieblinge, gehörnt und gefleckt, und hatten altmo dische Namen wie Daisy oder Emily. An einem kalten Morgen Ende Oktober war Toby hergekommen, um die Schafe zu se hen, und hatte mitten unter ihnen einen mächtigen gehörnten Widder angetroffen. Der Widder war eine Weile geblieben und dann von seinem Besitzer würdelos im Laderaum eines ramponierten Lieferwagens nach Hause verfrachtet worden.
    Aber er hatte seine Pflicht getan. Schon waren drei Lämmer zwillingspaare geboren, und nur Daisy wartete noch auf ihre Niederkunft. Toby lehnte sich über den Zaun und rief nach ihr. Sie kam langsam, würdevoll, liebkoste mit ihrer edlen Nase seine Hand und gestattete ihm, ihr den wolligen Schädel zwischen den stolzen, gebogenen Hörnern zu kraulen.
    Toby

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