Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)
Tochter ihre Pläne mitteilen, reagiert Hannah anders als erwartet. Sie stimmt nicht zu. Das sonst folgsame, kooperative Mädchen weigert sich, von ihren Eltern weggeschickt zu werden. Sie möchte auf das gleiche Gymnasium gehen wie all ihre Freundinnen. Prestige, Bekanntschaft mit Kindern einflussreicher Leute, Zukunftschancen interessieren sie nicht. Sie ist ein zehnjähriges Mädchen, das seine gewohnte Umgebung nicht verlieren will. Carsten und Marion versuchen, sie zu überreden. Doch Hannah bleibt stur. Marion versucht ihrer Tochter das Leben in dem Internat schmackhaft zu machen, sie besuchen an einem Wochenende die Schule, schauen sich die hübschen Gebäude an, lassen sich von hilfsbereiten Schülern und freundlichen Lehrern über die vielfältigen Freizeitmöglichkeiten informieren. Hannah schaut sich alles widerwillig an und bleibt dabei: Kein Internat für sie. Marion lässt nicht locker, jeden Tag versucht sie ihre Tochter zu überzeugen. Carsten bekommt mit der Zeit Zweifel. Er nimmt den entschiedenen Widerstand seiner Tochter wahr. Marion fühlt sich von Carsten hintergangen, will sich nicht abbringen lassen. Ihr Leben lang hat sie unterschwellig darunter gelitten, »nur« Kosmetikerin zu sein und aus einfachen Verhältnissen zu stammen. Ihre Tochter soll ein anderes Leben haben, sie soll von ihrer Kindheit im Internat erzählen, auf eine gute Universität gehen, zur Elite gehören. Marion verstrickt sich und ihre Tochter unbewusst immer mehr in ihre Wünsche und meldet Hannah gegen deren ausdrücklichen Willen für das folgende Schuljahr im Internat an. In den Sommerferien vor dem Schulwechsel ergreift Hannah drastische Maßnahmen: Sie tritt in einen Hungerstreik. Nach zwei Wochen ist das ohnehin schlanke Mädchen so geschwächt, dass Marion aufwacht. Mutter und Tochter führen lange, ernste Gespräche, und am Ende wird Hannah auf dem nahe gelegenen Gymnasium eingeschult. Hannah hat den Kampf gegen die Erwartungen ihrer Mutter gewonnen. »Etwas Besseres sein«, das hatte sich Marion immer gewünscht und diesen Wunsch auch auf ihre Tochter übertragen. Aber sie hat eingesehen, dass das Wohl ihrer Tochter wichtiger ist als ein Leben wie aus einem Hochglanzprospekt.
Nicht immer wachen Eltern rechtzeitig auf. Die Verwirklichung der eigenen Wünsche wird dann jahrelang dem Kind abverlangt. Wenn das Kind nicht in der Lage ist, die elterlichen Wünsche zu befriedigen oder sich erfolgreich dagegen zu wehren, entsteht ein qualvoller Prozess, der nicht selten im Zerwürfnis zwischen Kind und Eltern endet.
Mia ist eine Tochter aus sogenanntem gutem Hause. Sie wohnt mit ihren Eltern in einer Villa im teuersten Wohnviertel der Stadt und besucht eine Privatschule. Ihre Mutter Vera ist im oberen Management eines internationalen Unternehmens tätig. Ihr Vater Claus ist seit Mias Geburt hauptberuflich Vater und Hausmann. Für diese Entscheidung erntet Claus die Verachtung seines Vaters – und das nicht zum ersten Mal. Stets stand Claus im Schatten seines erfolgreichen und strengen Vaters, und egal, wie sehr er sich anstrengte, es ist ihm nie gelungen, es seinem Vater recht zu machen. Claus quälte sich durch ein betriebswirtschaftliches Studium und bekam anschließend mithilfe seines Vaters seine erste Stelle. Während seine Kollegen über die Jahre befördert wurden oder in besser bezahlte Jobs wechselten, trat Claus auf der Stelle. Getrieben vom Ehrgeiz seines Vaters und in der Hoffnung, endlich dessen Anerkennung zu erhalten, wagte Claus den Sprung in die Selbstständigkeit. Seine Geschäftsidee wurde nicht angenommen, und ohne die finanzielle Unterstützung seiner Frau könnte Claus bis heute nicht leben. Claus schämt sich für seine Misserfolge, auch vor seiner Frau. Als Vera schwanger wird, eröffnet sich ihm endlich eine Möglichkeit, seine Frau zu unterstützen und ihr so etwas »zurückzuzahlen« – er bietet an, sich um das Kind zu kümmern, sodass Vera nach kurzer Zeit wieder in ihren Job zurückkehren kann. Obwohl Claus in seiner Vaterrolle aufgeht, möchte er nicht, dass die Außenwelt weiß, dass er »nur« Hausmann und Vater ist. Die offizielle Sprachregelung lautet bis heute, dass Claus selbstständig von zu Hause aus arbeitet. In Wirklichkeit bietet ihm die Vaterschaft endlich eine Aufgabe, die ihn ausfüllt und ihm sinnvoll erscheint, er kümmert sich liebevoll um seine kleine Tochter und versucht, ihr ein guter Vater zu sein.
Als Mia älter wird, verändert sich die Beziehung zwischen Claus
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