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Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)

Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)

Titel: Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Konrad
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schließlich am Chinesischunterricht teilnahm. Ich machte deutlich, dass es nicht der Sohn war, der das Problem schuf, dass er sich ganz im Gegenteil sehr gesund für sein Alter verhielt. Der Mann vereinbarte keinen weiteren Termin, und es bleibt zu hoffen, dass er keinen Coach für seinen zehnjährigen Sohn gefunden hat, oder wenn, dann einen, der subversiv an einem anderen Auftrag arbeitet: Das Kind Kind sein zu lassen.
    All die Eltern, deren Kinder rebellieren, sollten dringend ihre Aufträge und die dahinterliegende Motivation überprüfen. Das Verhalten des Kindes zeigt Eltern oft genug den Weg oder, besser gesagt, die Steine im Weg auf. Wenn Eltern starr an ihren Forderungen festhalten, geht dies zuallererst zulasten der gesunden Entwicklung des Kindes und seines Selbstwertgefühls und gleich im Anschluss zulasten der Eltern-Kind-Beziehung. Hannah, Mia und Justus haben versucht, ihren Eltern den Weg zu weisen. Therapeuten versuchen in diesen Situationen, zum Wohle des Kindes zu wirken. Manchmal gelingt eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten, und manchmal sind die alten Aufträge so stark, dass die Motivation, sich davon zu lösen, nicht besteht. »Wir meinen es doch gut! Ohne Bildung/Leistung/Erfolg wird nichts aus dem Kind« oder ähnliche Überzeugungen sind dann wichtiger als ein glückliches Kind, das seinen Möglichkeiten entsprechend gefördert, aber eben nicht über fordert wird. In diesen Fällen stimmt Kurt Tucholskys Aussage: »Das Gegenteil von Gut ist nicht Böse, sondern gut gemeint.«
    »Bis dass der Tod uns scheidet« – Wenn Kinder ihre Eltern nicht verlassen dürfen
    »Hänschen klein ging allein
    in die weite Welt hinein.
    Stock und Hut steht ihm gut,
    er ist wohlgemut.
    Doch die Mutter weinet sehr,
    hat ja nun kein Hänschen mehr!
    Da besinnt sich das Kind,
    kehrt nach Haus geschwind.«
    Deutsches Kinderlied
    Ich wuchs in einem kleinen Dorf auf, neben uns wohnte eine Familie: Vater, Mutter, Sohn. Meine Geschwister und ich besuchten als Kinder unsere Nachbarn gern, sie verwöhnten uns mit Keksen und Kakao, wir durften in ihrem Kirschbaum klettern und in ihrem Garten Verstecken spielen. Auch mit Bert, dem Sohn der Nachbarsfamilie, verstanden wir uns sehr gut. Er brachte uns ab und zu Süßigkeiten und Comics mit und las uns aus ihnen vor. Bert war damals 40 Jahre alt.
    Einmal hörte ich, wie mein großer Bruder und meine Eltern darüber sprachen, warum Bert noch bei seinen Eltern wohnte, eine Frage, die ich mir bis dahin noch nie gestellt hatte. Es wirkte immer sehr gemütlich bei ihnen, warum sollte er ausziehen? »Weil seine Eltern ihn nicht lassen, den armen Kerl. Keine Frau ist seiner Mutter gut genug«, sagte meine Mutter. Bert blieb bis zu seinem Tod in seinem Elternhaus wohnen. Er starb lange vor seinen Eltern mit 49 Jahren, nach jahrelanger Alkoholabhängigkeit.
    Mir begegnen immer wieder Berts. Berts, die viel zu lange oder für immer zu Hause wohnen. Berts, die wieder nach Hause ziehen nach einer Beziehung, die von den Eltern – meist der Mutter – nicht gebilligt wurde (und eigentlich gern schon im Keim erstickt worden wäre). Berts, die heiraten und sogar eine eigene Familie gründen, aber eigentlich noch immer unter der Fuchtel ihrer Mutter oder beider Eltern stehen. Diese Berts treffe ich am allerhäufigsten, sie begegnen mir oft in der Paartherapie mit fuchsteufelswilden Frauen, die alle das Gleiche sagen: »Er steht nicht hinter mir. Ich komme gegen seine Familie nicht an.« Oft gibt es Streit zwischen den Ehefrauen und ihren Schwiegermüttern, der Mann/Sohn schwankt hilflos hin und her in dem Bemühen, es allen recht zu machen. In seiner Inkonsequenz wirkt er rückgratlos und macht alles noch viel schlimmer. Eine überstarke Loyalität zur Herkunftsfamilie und eine nicht vollzogene Ablösung führen in Paarbeziehungen unweigerlich zu Schwierigkeiten.
    Berts gibt es selbstverständlich auch in weiblicher Version. Erwachsene Frauen, die ihre Eltern jedes Wochenende besuchen und dort übernachten, vielleicht noch ihr ehemaliges Kinderzimmer dort haben. Frauen, die unfreiwillig Single sind, weil sie jeden Mann unbewusst mit ihrem Vater vergleichen und keiner dem Ideal standhalten kann. Frauen, die alleinstehen, weil sie sich sonst von ihren Eltern entfernen und diesen nicht mehr uneingeschränkt zur Verfügung stehen würden. Wie Maria, die ihrer Mutter unbewusst die Treue hält, indem sie Männer auf Abstand hält, so wie es ihre Mutter unausgesprochen von

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